Ein Beitrag von Thomas Röhrßen
In diesem Beitrag stelle ich den von mir in 2019 entwickelten Ansatz der TeamProzessPerformance (TPP) am Beispiel des OP vor. Er verbindet die Prinzipien hybrider Organisation mit einem kennzahlenbasierten Prozessmanagement und GUNG HO.
Ein Paradigmenwechsel in der Unternehmensorganisation?
Der ehemalige Unternehmensberater und McKinsey-Partner Frédéric Laloux , der heute als Wirtschaftsphilosoph und Autor tätig ist, hat in seinen Studien zukunftsweisende Unternehmensorganisationen untersucht. Sein Buch "Reinventing Organizations" wird in den Medien mit Lob überhäuft: „bahnbrechend“, „inspirierend“, „eines der faszinierendsten Bücher zur Organisationsentwicklung des letzten Jahrzehnts“.
Laloux sagt in einem Interview:
"Die Welt ist derart komplex geworden, dass das Beste, was wir tun können, nicht im Planen und Kontrollieren (»predict and control«) besteht, sondern im Wahrnehmen und Ermöglichen (»sense and respond«)"
Er beschreibt damit den aktuell großen Umbruch in vielen Unternehmen, die in ihren trägen Strukturen schon recht aufgebraucht sind. In der anstehenden postmodernen Ära der Unternehmensorganisation wird sich nach seiner Auffassung zunächst eine hybride Organisationsform durchsetzen, welche Leadership intelligent mit Selbstorganisation verbindet:
„Postmoderne Organisationen behalten die leitungsorientierten hierarchischen Strukturen moderner Organisationen bei, geben aber die Mehrheit der Entscheidungen an die Arbeiter und Angestellten weiter, die so weitreichende Entscheidungen treffen können, ohne sich die Genehmigung des Managements einzuholen. Die Menschen, die direkt mit den Anforderungen der täglichen Arbeit zu tun haben, kennen die unzähligen kleinen Probleme im Arbeitsablauf am besten. Deshalb sollte ihnen das Vertrauen entgegengebracht werden, dass sie bessere Lösungen finden können als Experten, die aus weiter Ferne auf die Situation schauen. (…). Dezentralisierung und Empowerment in einer großen Organisation zu implementieren ist schwierig. Das leitende und mittlere Management muss seine Macht mit allen Mitarbeitern teilen und einen Teil seiner Kontrolle aufgeben. (…). Den Mitarbeitern wird das Vertrauen entgegengebracht, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen, wobei sie sich an einer Reihe gemeinsamer Werte orientieren, statt an dicken Regelbeschreibungen und Absprachen.“ (Frederic Laloux. Reinventing Organizations. Vahlen Verlag München 2014, S. 32 f.)
Das postmoderne Krankenhaus 4.0 „Hybrid-Organisation und agile Teams“
Das deutsche Krankenhaus ist gerade erst am Beginn dieses Paradigmenwechsels in der Unternehmensorganisation. Einige Kliniken mussten in der Corona-Krise feststellen, wie wenig flexibel und anforderungsgerecht ihre Organisationen auf turbulente Situationen vorbereitet waren. Manche erkannten plötzlich die besondere Intelligenz selbstorganisierter Teams, die jenseits von hierarchischen Vorgaben einfach nur gut zusammen arbeiteten, agil im Tagesgeschäft reagierten und dabei immer die "Nerven bewahrten".
"Zurzeit befinden sich Krankenhausorganisationen erneut in einem radikalen Umbruch. Mit der Komplexität der klinischen Organisation entwickeln sich unüberschaubare Prozesslandkarten mit zahlreichen Schnittstellen. Wir kennen Kliniken, die fast 1.500 Prozessdokumente erstellt haben. Das Tempo der Veränderung nimmt dabei ständig zu: Ein Prozess, der gerade neu beschrieben worden ist, muss in kurzer Zeit aufgrund von neuen Anforderungen schon wieder infrage gestellt werden. Die digitale Prozessbürokratie in den Intranets der Kliniken führt zu einem Kollaps der Übersteuerung. Diese „chronische Prozessitis“ frustriert die Menschen – vor allem die neuen Generationen Y (etwa Jahrgänge 1980–1995) und Z (etwa Jahrgänge ab 1996), die sich in dem engen Korsett der klassischen Führungs-, Struktur- und Prozessansätze nicht mehr wohl fühlen. Im Krankenhaus 4.0 werden in der Struktur eher flexible Rollen und in den Abläufen nur noch einige wenige Trigger-Prozesse identifiziert. Ein neuer Teamspirit entsteht. Im oberen und mittleren Führungsbereich wird sich ein werteorientierter Führungsstil mit flacher Hierarchie und hoher Partizipation durchsetzen. An der Basis entwickelt sich eine neue Selbstorganisation teilautonomer Teams. Diese Hybrid-Organisation setzt auf partizipative Führung von oben und Selbstorganisation von unten."
(Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021, S. 36 f.)
Wir übersetzen diese Prinzipien in unseren Ansatz einer TeamProzessPerformance (TPP) und verbinden es mit GUNG HO.
"GUNG HO" ? siehe BLOG-Beitrag: "'Do hat you love' Gung Ho und Generation Z"
Sie arbeiten nicht im OP?
Dann sollten Sie trotzdem weiterlesen, denn ich bin überzeugt, dass die TeamProzessPerformance (TPP) in Vertriebsteams, Produktionsteams, Teams in Marketing- und Personalabteilungen, IT-Teams, Ingenieur- und Technikerteams, Entwicklerteams, Kreativ-Teams, Start-Up-Unternehmen, CORONA-Krisenteams, Reha-Teams, Teams in der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und der Behindertenhilfe nach den gleichen Prinzipien gestaltet werden kann wie im OP-Team, im Team der Zentralen Notaufnahme, im Endoskopie-Team, im stationären Arzt- und Pflegeteam eines Krankenhauses.
Übertragen Sie die wichtigsten Prinzipien auch auf Ihr Team!
TeamProzessPerformance im OP - Warum?
Die OP-Minute wird immer leistungsdichter, kostenintensiver und knapper. Das OP-Prozessmanagement hat sich schon lange zu einem zentralen Erfolgsfaktor für das Krankenhaus entwickelt. Doch viele Krankenhäuser und auch wir Berater haben mit der Etablierung von zentralen Strukturen und Koordinationsfunktionen im OP die Selbstorganisation der Saalteams in den letzten 30 Jahren Schritt für Schritt untergraben. Das soll nicht heißen, dass zentrale Strukturen im OP nicht erfolgreich sind. Sie müssen aber um Aspekte von Team- und Selbstorganisation ergänzt werden. In der von uns neu entwickelten TeamProzessPerformance steht das agile Saalteam wieder im Zentrum des OP. Mit der Entwicklung hybrider Organisationen ("zentrale Steuerung nur wo notwendig, Selbstorganisation wo immer möglich") verändert sich auch Leadership im OP.
Im Rückblick auf die letzten 25 Jahre klinischer Struktur- und Prozessoptimierung im OP muss ich gestehen, dass neue Strukturen, Prozesse und Regeln im OP häufig nur mit zentraler Macht durchgesetzt werden konnten. In manchen Projekten hat das funktioniert, aber in mehreren Projekten kam es nur zu einer kurz- oder mittelfristigen Optimierung ohne ausreichende Nachhaltigkeit und ohne echte Leidenschaft bei den Betroffenen. Die Reflexion der Projekterfahrungen im OP mündete dann folgerichtig in den Ansatz der TeamProzessPerformance, den ich schrittweise entwickelt habe. Dabei werden zentrale und hierarchische Strukturen im OP nicht ganz aufgegeben, aber deutlich relativiert und ergänzt. In den OPs stehen wir hier noch ganz am Anfang einer neuen Entwicklung.
Doch fangen wir erst einmal mit einer Bestandsaufnahme an:
Ohneiser (2019) beschreibt recht anschaulich die alltäglichen Probleme, die sich in vielen Krankenhaus-OPs zeigen und die sich in ihrer Wechselwirkung noch verstärken:
„In vielen Krankenhäusern ist der OP-Betrieb unorganisiert und weist Lücken auf, (…). Ärzte, Pfleger und OP-technische Assistenten monieren oft die Wartezeiten, die sie in einem vorbereiteten Operationssaal verbringen, weil entweder der Operateur, der Anästhesist, der Patient noch nicht da sind oder die Untersuchungsergebnisse des Patienten fehlen. Dadurch kann eine OP-Planung für den gesamten Tag zusammenfallen. OP-Säle bleiben ungenutzt, Überstunden können am Tagesende zustande kommen, die Unzufriedenheit der Mitarbeiter wächst und Leerkosten sowie Personalkosten entstehen. Die ungeschriebene Regel in deutschen OPs weist darauf hin, dass jeder Operateur ‚seinen‘ Saal belegt und bestimmt, zu welchem Zeitpunkt dies geschieht. Die restlichen Mitarbeiter im OP halten sich bereit. Neben dem pünktlichen Beginn sind effiziente Wechselzeiten im Tagesverlauf für die wirtschaftliche Leistungserbringung essentiell. Die Voraussetzungen sind exakte Terminierungen und das Ineinandergreifen einer Vielzahl von Prozessen. Diese Komplexität macht den Wechselprozess störungsanfällig. Hier bedarf es einer intelligenten und transparenten Ablaufstruktur innerhalb und zwischen den beteiligten Professionen.“
(Anja Ohneiser. Klinische Struktur- und Prozessoptimierung – Wechselzeitoptimierung mit präzisem Abrufmanagement und strategischer OP-Kapazitätenplanung. Masterarbeit 2019)
Wenn man die einschlägigen Veröffentlichungen zum OP-Management studiert, dann erkennt man einige wichtige Erfolgsfaktoren professioneller OP-Organisation wie z.B.
die Etablierung eines weisungsbefugten OP-Managements
eine strategische und bedarfsgerechte Leistungs- und Kapazitätenplanung für die Säle
der Aufbau eines aussagefähigen OP-Controllings und -Reportings
geordnete prästationäre Indikations- und Planungsprozesse in Ambulanzen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZs) für die elektiven OP-Patienten
die Sicherstellung eines pünktlichen OP-Beginns am OP-Tag mit Synchronisierung der Abläufe und Dienstzeiten
die umfassende Nutzung IT-gestützter Planungs- und Steuerungstools
die Implementierung eines verbindlich-gelebten Regelsystems (Statut, Dienstordnung, Geschäftsordnung)
etc.
In diesen Punkten sind wir in den letzten 2 Jahrzehnten richtig gut weiter gekommen.
Auffällig ist aber, dass man zur Gestaltung der Soft-Skills im spezifischen Organisationsfeld OP nur recht allgemeine und dürftige Aussagen und Konzepte findet. Team-Skills im OP sind kaum als Erfolgsfaktoren erkannt und in ihrer Tiefenstruktur bisher wenig analysiert worden, obwohl die Alltagspraxis im OP belegt, wie perfekt der Workflow bei einem Saalteam mit „Teamspirit“ funktionieren kann. Aus meinen ersten Erfahrungen in Krankenhaus OPs Anfang der 1990er Jahre kenne ich noch aus einzelnen Häusern noch einen ganz originären "Spirit" einzelner fachabteilungsbezogener OP-Stammteams mit starker Teamintegration, der nur rudimentär von zentralen OP-Koordinatoren gesteuert wurde. Diese Organisationsform ist in den modernen Zentral-OPs strukturell, prozessual und wirtschaftlich nicht mehr denkbar. Aus unserer Ansicht müssen in unserer Zeit die Ansätze zentraler OP-Steuerung mit einem neuen Teamprozess kombiniert werden, um ein deutlich verbessertes Prozessmanagement im Tagesgeschäft zu erreichen.
"Eine optimale OP-Organisation liegt nach unserer neuen Auffassung also erst dann vor, wenn der 'Funke auf den Saal übergesprungen ist'. Dieser 'Funke' liegt in einer speziellen Teamdynamik, die durch geeignete Rahmenbedingungen unterstützt aber nicht durch organisatorische Strukturen und Prozesse allein evoziert werden kann. Im Mikrokosmos OP-Saal zeigt sich „pars pro toto“ die gelebte Organisationsphilosophie eines Krankenhauses."
(Thomas Röhrßen und Klaus Wohlmeiner. TeamProzessPerformance (TPP) im OP mit Gung Ho. In: Renate Tewes/ Christiane Matzke (Hrsg.). Innovative und mutige Projekte der Personalentwicklung im Gesundheitswesen aus dem In- und Ausland. Springer Verlag Heidelberg voraussichtlich 2021).
Selbstorganisation im OP-Saalteam
Der OP-Plan entwickelt sich elektiv aus den Ambulanzen sowie dringlich oder akut aus den Notaufnahmen und wird dann von OP-Koordinatoren in einer Kombination aus langfristiger Planung (Wochen- und Tagespläne) und kurzfristiger Planung am OP-Vortag sowie letztendlich dann akut morgens am OP-Tag und im weiteren Tagesverlauf in einem "Feintuning" angepasst. Das Saalteam steht am Ende dieser Planungskette, hat wenig Einfluss auf das Gesamtgeschehen, sieht sich in der Regel kaum als steuerndes Organ und muss so manches Problem am Ende "ausbaden". Das trifft auch die Patienten. In machen OP`s erlebt das Saalteam einen starken Kontrollverlust und entwickelt daraus häufig eine Opfermentalität.
In der TeamProzessPerformance wird die OP-Planung als solche zunächst als Rahmenvorgabe angenommen, aber das Saalteam wird auf dieser Grundlage wieder zur eigentlichen Keimzelle des OPs. Einen ähnlichen Zustand habe ich noch vor 30 Jahren im OP erleben dürfen, einer Zeit, in der es noch keine etablierten OP-Manager, dafür aber intakte OP-Stammteams gab. Keine Sorge: ich möchte hier nicht sozialromantisch einen neuen Gruppenverband im OP einführen, sondern die notwendige zentrale Planungs- und Steuerungsinstanz ergänzen.
Die Ziele der dezentralen Selbst- und Teamorganisation im OP:
Planungs- und Steuerungsprozesse im Tagesverlauf werden weg vom OP-Management und der OP-Koordination zurück in den Saal verlagert.
Jeder Einzelne übernimmt Verantwortung im OP-Saalteam bezogen auf die Steuerung und die Erreichung von Zielen im operativen Tagesgeschäft.
Die langen und komplizierten Abstimmungsprozessen und Rücksprachen mit Führungskräften und Funktionen außerhalb des Saals werden reduziert.
Das agile OP-Saalteam reagiert effektiv auf die zahlreichen Turbulenzen im OP-Tagesprogramm.
Durch mehr Selbstverantwortung und Prozessteuerung im Saal ergeben sich positive Effekte im Bereich Teamzusammenhalt, Erfolgsmotivation und Arbeitszufriedenheit bei den OP-Mitarbeiter*innen.
In unserer TeamProzessPerformance im OP werden folgende Aufgaben an das OP-Saalteam delegiert:
Klärung wesentlicher Aspekte in der Arbeitsvorbereitung zu einzelnen OPs/ ggf. auch Feinjustierung der Reihenfolge und Vorgehensweise in Absprache mit den planungsverantwortlichen Ärzt*innen der operativen Klinik/en, der Anästhesie und/oder den Operateuren zur Sicherstellung einer optimalen fachlichen Umsetzung und Auslastung im OP;
Optimale Integration von Nachmeldungen und Notfällen im Dialog mit dem/der OP-Koordinator*in;
Durchführung des OP-Abrufmanagements (Abruf Patient/ Operateur) und der Wartezeitdokumentation im OP-Saal unter Nutzung des White-Boards, der entscheidende Trigger-Prozess im OP (siehe unten);
Steuernder Eingriff in alle den Trigger-Prozess beeinflussende Sekundärprozesse wie Patientenvorbereitung, Patiententransport, Management im Bereich Holding-Area, Schleuse und Aufwachraum, Ein- und Ausleitung, Saalreinigung und -vorbereitung, Lagerung, Zentralsterilisation etc.;
Kurzbesprechung kurz vor Dienstende (Team-Check „Huddle“) – Feedback zum OP-Tag mit Rückmeldung über Erfolge und Optimierungspotenziale; kleiner Ausblick auf den nächsten OP-Tag.
Der Team-Check "Huddle"
Viele Probleme im OP sind Ausdruck einer mangelnden funktions-, bereichs- und berufsgruppenübergreifenden Kommunikation und Integration. Diese sollte agil, vertrauensbildend und lösungsorientiert ausgerichtet sein. Problemhypnosen und Schuldzuweisungen haben hier keinen Platz! In der TeamProzessPerformance und hybriden OP-Organisation bildet der „Huddle“ (engl. „Haufen“) das zentrale Kommunikationsmittel:
„Das Konzept des Huddle stammt aus dem American Football. Vor jedem Spielzug stecken die Spieler kurz die Köpfe zusammen (…) und besprechen ihre Taktik. Die Anzeigetafel gibt dazu Anhaltspunkte: Ist das Team auf dem Weg, das Spiel zu gewinnen? Wieviel Zeit verbleibt, um das Resultat zu beeinflussen? Entscheidend dabei ist, dass man gemeinsam als Team nach vorne schaut, zielgerichtet kommuniziert und konkrete Handlungen ableitet. Im Krankenhaus bedeutet das, dass sich ein Behandlungsteam mehrmals täglich für einen kurzen Austausch trifft. Die Bezeichnung „Huddle“ ist wichtig, um den Unterschied zu anderen Treffen aufzuzeigen: Ein Huddle ist kein Rapport und keine Sitzung. Und: Man sitzt nicht, sondern man steht. Das beschleunigt das Ganze. Es geht darum, sich in kurzer Zeit (maximal sieben Minuten) gemeinsam als interprofessionelles Team einen Überblick über das Geschehen basierend auf Kennzahlen zu verschaffen. Besprochen werden die tägliche Auslastung, die Abweichungen vom Standard und besondere Ereignisse. Als ‚Anzeigentafel‘ dient das Huddleboard. Stimmt die Leistung in einem Bereich nicht oder tauchen Probleme auf, werden konkrete Gegenmaßnahmen definiert. Falls ein Problem vom Team nicht innerhalb von 24 Stunden gelöst werden kann, wird es auf die nächste Führungsstufe eskaliert.“
(Walker/ Alkalay/Kämpfer/Roth. Mehr Zeit für Patienten – Lean Hospital im Einsatz auf der Station und in der Abteilung. MWV - Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2017, S.98)
Am Ende des OP-Tags versammelt sich das Saal-Team zu einem tagesabschließenden Manöver-Feedback vor dem White-Board im OP-Saal.
Das Team bewertet die eigene Prozesseffizienz anhand der auf dem White-Board dokumentierten Delta-Abweichungen zwischen t0 und t1 (siehe unten).
Die Teammitglieder sprechen sich gegenseitig Wertschätzung und Anerkennung für besondere individuelle Beiträge sowie die gesamten Teamleistung aus
Das Team sucht nach Lösungsansätzen und Verbesserungsvorschlägen für die nächsten OP-Tage
Das Team meldet oder "eskaliert" unlösbare Probleme an übergeordnete Hierarchieebenen.
Der Trigger-Prozess
Das Krankenhaus hat sich zu einer Organisation mit "chronischer Prozessitis" entwickelt. Kaum ein Ablauf, der nicht vom QM als qualitätsrelevanter Prozess eingestuft, in einem Workflow-Diagramm oder einer Verfahrensanweisung dokumentiert und als gelenktes Dokument im Intranet hinterlegt wird. Das ist die moderne Auffassung von Qualität.
Die postmoderne Auffassung von Organisation ist eine andere. Sie hinterläßt ausreichend Lücken und Nischen für die agile Selbstorganisation von Teams. Doch auch dieser Ansatz verzichtet natürlich nicht auf verbindliche Prozesssteuerung. Er reduziert die Prozesssteuerung allerdings auf das Wesentliche. Wir haben für das zentrale Prozesselement dieser postmodernen Organisation den Begriff "Trigger-Prozess" eingeführt. Ein Trigger-Prozess ("trigger" = Auslöser) ist nach unserer Definition ein Prozess, der viele weitere Prozesse auslöst und beeinflusst. Als Trigger-Prozess im Tagesgeschäft eines OPs sehen wir den Prozess der genauen Festlegung des OP-Beginns der ersten OP und aller Folge-OPs in einem kontinuierlichen Prozess einschließlich des präzisen Abrufmanagements, der Abweichungsdokumentation und -analyse sowie der Gegensteuerung. Nur dieser Prozess wird im Ablauf, in den Zuständigkeiten und den geltenden Regeln beschrieben. Der Rest liegt in der Selbstorganisation des Saalteams.
( Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021, S. 50, Abb.9)
Der Trigger-Prozess wird so definiert:
"Das Saalteam legt noch während einer laufenden OP mit angemessenem Vorlauf zur Folge-OP in einem teambezogenen Saal-Commitment (Operateur*in, Anästhesist*in, OP-Funktionspflege, OP-Anästhesiepflege) fest, wann auf die Minute genau die nächste OP beginnen soll. Als Beginn gilt nicht der Schnitt, sondern die erste Intervention des operativen Teams am Patienten nach Freigabe durch die Anästhesie (sogenannte chirurgisch-kontrollierte Zeit wie z.B. Lagerung). Das ist der geplante Beginn der Folge-OP, den wir t0 nennen und der auf einem White-Board im Saal dokumentiert wird. Auf diesen Zeitpunkt konzentriert sich dann das Abrufmanagement. Weitere vorbereitende Prozesse innerhalb und außerhalb des Saals werden auf diesen genau definierten Zeitpunkt ausgerichtet. Die vom Saalcommitment und Abrufmanagement ausgelösten Prozesse werden nicht näher beschrieben (z.B. Patientenvorbereitung, Patiententransport, Aufenthalt in der Holding-Area, Schleusen-Management, Ein- und Ausleitung, Saalreinigung und -vorbereitung, Lagerung etc.), um den freien Handlungsspielraum agiler OP-Teams zu erhöhen."
(Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021, S. 50 f.)
Short-Cut Prozessziel
Viele OP-Manager verfügen über eine enorme Fülle von Daten. Sie "glänzen" mit einem ausgefeilten Kennzahlensystem und OP-Reporting, dass sie in geeigneten Abständen in OP-Konferenzen vorstellen. Das ist nicht schlecht. In einer postmodernen Organisationsform brauchen die agile OP-Teams allerdings auch schnelle Rückmeldungen über Ihren Erfolg im Tagesgeschäft. Am besten von OP zu OP.
Hierzu haben wir das Konzept der "Short-Cut-Prozessziele" entwickelt.
"Ein Short-Cut Prozessziel ist nach unserer Definition ein präzises und messbares Ergebnis eines Ablaufs, das direkt nach Abschluss des Prozesses anhand einer einfachen Kennzahl gemessen wird. Mit dem Prozessziel sind eine zeitnahe Evaluation und Erfolgsmotivation für das Team verbunden. Als Short-Cut Prozessziel haben wir den pünktlichen Beginn einer Folge-OP definiert und dabei arbeiten wir nur mit einer einzigen Kennzahl: die Abweichung (Delta) zwischen dem geplanten Beginn einer Folge-OP t0 und dem realen Beginn der Folge-OP t1. Das OP-Saalteam dokumentiert die Planung und Realisierung des Short-Cut Prozessziels sowie den Umfang (in Minuten) und die Gründe von Abweichungen (verschlüsselt nach festgelegten Wartezeitkategorien) auf einem White-Board im Saal. Damit hat das Team eine hohe und zeitnahe tägliche Übersicht über die Short-Cut Prozessziele und die diesbezüglichen Erfolge von OP zu OP."
(Thomas Röhrßen und Klaus Wohlmeiner. TeamProzessPerformance (TPP) im OP mit Gung Ho. In: Renate Tewes/ Christiane Matzke (Hrsg.). Innovative und mutige Projekte der Personalentwicklung im Gesundheitswesen aus dem In- und Ausland. Springer Verlag Heidelberg voraussichtlich 2021)
(Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021, S. 51, Abb. 10)
Leadership in agil-hybriden Organisationen
In einer agil-hybriden Organisation greifen die Führungskräfte nur in das Team und das operative Tagesgeschäft ein, wenn die Selbstorganisation gefährdet ist. Das erfordert eine gewisse operative Zurückhaltung, aber auch eine Verlagerung des Fokus der Führung weg von der Kontrolle und der Korrektur von Abweichungen hin zur Förderung von Eigenmotivation, Verantwortung und Selbstorganisation. Führen heißt »sense and respond« / Wahrnehmen und Ermöglichen (vgl. Frederic Laloux).
"Die Führungskräfte unterstützen die OP-Mitarbeiter*innen darin, ihren eigenen Sinn in der Arbeit zu finden. Sie fördern die Eigenmotivation und vermeiden so weit wie möglich, gewünschte Verhaltensweisen einfach nur über Anordnung oder externe Anreize, Druck und Sanktionen zu steuern. Die Führungskräfte kooperieren und legen den Schwerpunkt eher auf die emotional-motivationale Unterstützung und Konfliktbewältigung. Sie setzen sich weniger mit den Verhaltensweisen, sondern eher mit den dahinter liegenden Glaubenssätzen, Einstellungen und Haltungen der OP-Mitarbeiter*innen auseinander. Kritische Einstellungsmuster werden positiv herausgefordert, hinterfragt und nachhaltig verändert. Die Führungskräfte greifen nur sehr vereinzelt operativ und regulativ in das OP-Tagesgeschäft ein. Sie gestalten den Rahmen für Selbstorganisation der Saalteams und sorgen dafür, dass Probleme gemeinsam im Saalteam erkannt und gelöst werden."
(Thomas Röhrßen und Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021, S. 48 f.).
Einführung von TeamProzessPerformance im OP mit roehrssen consult!
Mit einer Video-Workshop-Reihe unterstützten wir interessierte OP-Saalteams (Ärzte der operativen Klinik, Anästhesisten, OP-Funktionspflege und Anästhesiepflege) bei der Einführung von TeamProzessPerformance im OP in einem erweiterten PDCA-Zyklus (WHY PLAN-DO LEADERSHIP CHECK-ACT).
Video-Workshop 1 "WHY"
BeraterInput zur TeamProzessPerformance, Ausgangslage, motivationale Basisanalyse und Commitement.
Video-Workshop 2 "PLAN" Definition OP-Zeiten, Trigger-Prozess und Short-Cut-Prozessziele, Wartezeitkategorien, White-Board, Huddle (Aktionsplan mit Arbeitsaufträgen, Zuständigkeiten und Fristen).
Video-Workshop 3 "DO" Implementierungsplan mit Festlegung der Aufgaben, Regeln, Verfahren und Instrumente.
Videocoaching "LEADERSHIP" Rolle und Verantwortung der Führungskräfte in Information, Umsetzung und Begleitung.
Video-Workshop 4 "CHECK & ACT" Evaluation mit Auswertung und Interpretation der Daten, Planung von Anpassungsmaßnahmen
Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Coach und Unternehmensberater. Er führt seit 30 Jahren Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personalentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in unterschiedlichen Branchen durch. Als Leadership Experte hat er ein psychologisch fundiertes Führungskonzept entwickelt.
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