Ein Beitrag von Thomas Röhrßen
Wenn ein Eingriff oder eine Untersuchung im OP oder in der Endoskopie, dem Herzkatheterlabor, der Radiologie oder Angiologie etc. erst einmal begonnen hat, dann kommt in der Regel ein optimaler Workflow mit hoher Kontrolle und Selbststeuerung aller Beteiligter in Gang. Alle haben einen gemeinsamen Fokus und arbeiten konzentriert Hand in Hand. Zwischen den Interventionen sieht das häufig ganz anders aus. Das Team löst sich temporär oder ganz auf und in der Wechselzeit diffundieren Aufmerksamkeit und Aktionen der Beteiligten in unterschiedliche Richtungen. Dann gelingt es nicht immer, dass alle pünktlich wieder am Start sind. Wie kann eine hohe Prozesseffizienz mit geringem Leerlauf gerade in der Wechselzeit gehalten werden?
Mit dem Ansatz der TeamProzessPerformance wird die Kontrolle, Selbststeuerung und Prozessoptimierung im laufenden Prozess in der Verantwortung des gesamten Teams im Saal bzw. Untersuchungsraum gesehen. Die Kontrolle wird durch eine Orientierung an einfachen Kennzahlen unterstützt. Alles orientiert sich an einer minutengenauen "Punktlandung" zu Beginn der Intervention.
Dieser Beitrag beruht auf meinem Beitrag "So lässt sich die Prozesseffizienz von OP-Teams steigern" im Deutschen Ärzteblatt 20/2024 vom 4. Oktober 2024, den ich hier im Blogbeitrag auf alle Interventionsformen in operativen und konservativen Kliniken übertrage. https://aerztestellen.aerzteblatt.de/de/redaktion/so-laesst-sich-die-prozesseffizienz-von-op-teams-steigern
Der TeamProzessPerformance liegen folgende einfache Prinzipien zugrunde:
1. Triggerprozess "Teamcommitment Planbeginn"
Ein "Triggerprozess" ist ein zentraler organisatorischen Prozess, der hohen Einfluss auf das Gesamtgeschehen und die Effizienz hat. In den operativen Sälen der chirurgischen Fächer sowie den Interventions- und Untersuchungseinheiten der konservativen Fächer, bei denen zahlreiche Leistungen gut getaktet in interprofessionellen Teams erbracht werden müssen, konzentrieren wir uns auf einen einzigen Triggerprozess, den wir "Teamcommitment Planbeginn" nennen. Dieser Prozess hat 4 Teilprozesse:
Minutengenauer Planbeginn der Erst- und Folge-Interventionen (t0) Der Prozess beginnt mit dem minutengenauen Festlegen des Beginns der ersten Intervention am Tag sowie sämtlicher Folge-Interventionen an diesem Tag.
Das muss natürlich nach dem ersten Eingriff für alle Folge-Eingriffe fließend im Prozess geschehen. Das interprofessionelle Team legt den Beginn der Folge-Intervention mit angemessenem Vorlauf noch während der laufenden Intervention in gemeinsamer Abstimmung fest (Commitment zwischen eingriffsverantwortlichen Ärzten, Anästhesie und Pflegepersonal). Dies geschieht noch in der Finalphase der laufenden Intervention nachdem etwa 60-75 % der Eingriffszeit abgelaufen ist. Dies nennen wir Planbeginn-Commitment. Je später innerhalb der laufenden Intervention ein Folgeinterventionsstart festgelegt wird, desto besser ist natürlich die Vorhersagegenauigkeit. Allerdings: je früher das Planbeginn-Commitment, desto größer ist auch die Vorlaufzeit für die Vorbereitung der Folgeintervention. Das Abrufmanagement sollte an realistischen Vorlaufzeiten für die Station und den Transportdienst ausgerichtet sein. Aus beiden Anforderungen ergibt sich ein geeigneter Zeitpunkt für das Planbeginn-Commitment. Es bietet sich an, allgemeine oder für einzelne Interventionsformen spezifizierte Durchschnitts- und Standardzeiten zu definieren, die als Grundlage für die Vorlaufzeit gelten sollen. Aus meiner Sicht sind statistische Auswertungen aus der IT hier nur als Orientierungsgrundlage sehen, nicht aber als realistische Soll-Vorgabe. Sie enthalten häufig viele unproduktive Leer- und Wartezeiten, die ja gerade mit der TeamProzessPerformance eliminiert werden sollen. Als Interventionsbeginn gilt im Übrigen hier nicht der fachliche Beginn der Intervention (im OP: Schnitt), sondern die erste Bindung/ Tätigkeit des ärztlichen Teams am Patienten (Lagerung etc.). Dieser Planbeginn der Folge-Intervention wird als „t0“ definiert. Dieser Zeitpunkt t0 wird auf einem White-Board für alle sichtbar im Saal/ Untersuchungsraum dokumentiert.
Abrufmanagement Station Hier wird unter Berücksichtigung einer standardisierten Vorlaufzeiten der telefonische Abruf auf der Station einschließlich der genauen Abruf-Zuständigkeit definiert. Dies geschieht mit Angabe des genauen Zeitpunkts der geforderten Ankunft des Patienten vor Ort (Schleuse, Holding Area, Vorbereitungsraum oder Untersuchungsraum). Der telefonische Abruf enthält diese Information: "Bitte Ankunftszeit 8.35 Uhr an Schleuse". Der Abrufzeitpunkt wird ebenfalls für alle sichtbar auf dem White-Board dokumentiert. Dies gilt als Nachweis für einen rechtzeitigen Abruf.
Abrufmanagement Ärzte
Hier wird der telefonischer Abruf der Ärzte zur Folge-Intervention definiert. Dies geschieht mit Angabe des genauen Zeitpunkts der geforderten Ankunft des Ärzteteams im Saal bzw. Untersuchungsraum (Beginn der Präsenzzeit): "Bitte Ankunftszeit 8.40 Uhr im Saal".
Minutengenaue Erfassung Realbeginn (t1) und Abweichung Es erfolgt dann eine minutengenaue Erfassung des Realbeginns der Intervention (t1) auf dem White-Board im Interventionsraum (OP-Saal oder Untersuchungsraum). Hier zählt die erste Intervention am Körper des Patienten (z.B. Lagerung). Die chirurgischen Fächer sprechen von "chirurgisch kontrollierter Zeit" nach Freigabe durch die Anästhesie. Bei einer Abweichung von mehr als fünf Minuten müssen die Gründe für diese Abweichung, verschlüsselt nach vorab festgelegten Wartezeitkategorien (Legende), auf dem Whiteboard für alle sichtbar erfasst werden.
Weitere von diesem Triggerprozess ausgelösten Abläufe werden nicht näher beschrieben. Dazu gehören beispielsweise die Patientenvorbereitung, der Patiententransport, der Aufenthalt in der Vorbereitungszone/ Holding Area, das Schleusenmanagement, die Ein- und Ausleitung, die Reinigung und Vorbereitung der Säle/ Untersuchungsräume, die Wegzeiten aller außerhalb des OPs befindlichen Leistungsträger oder die fachgerechte Lagerung. Diese Abläufe liegen in der agilen Steuerungskompetenz der Station und des Interventionsteams im Saal bzw. Untersuchungsraums.
2. Quick-Time-Feedback mit Hawthorne-Effekt
Viele Controller und Prozessmanager in Kliniken verfügen über eine enorme Fülle an Daten sowie ein ausgefeiltes Kennzahlensystem und Reporting z.B. zu den Beginn- und Wartezeiten sowie den Kapazitätsauslastungen der Untersuchungs- und Interventionsräumen. Diese werden in längeren Zeiträumen erfasst und dann als retrospektive Daten in Reports präsentiert. Selten sind dort auch die Abweichungsgründe spezifiziert. Dieses Vorgehen eignet sich nicht für einen agilen Teamansatz.
In einer agilen Organisation brauchen die interprofessionellen Teams zeitnah Rückmeldungen über ihre Prozesseffizienz im Tagesgeschäft, am besten in einem Quick-Time-Feedback, aktuell von Intervention zu Intervention. Dabei sind die Abweichungsgründe für das agile und verursachungsgerechte Vorgehen in der Organisation hoch relevant. Ein zeitnahes Feedback zeigt schnelle Wirkung!
In unserer Team-Prozess-Performance gibt es nur eine einzige Kennzahl: die Abweichung (Delta) zwischen dem Planbeginn einer Intervention t0 und dem Realbeginn der Intervention t1 (∂ = t1 - t0). Mit der Erfassung von Abweichungsgründen auf dem White-Board ist eine kontinuierliche Verbesserung möglich. Das agile Team kann Prozesseffizienz anhand nur einer Kennzahl messen.
Die Effekte dieses Quick-Time-Feedbacks von Prozesszeiten und kritischen Abweichungen sind enorm. Denn hier greift der sogenannte Hawthorne-Effekt, der erstmals in den 1920er-Jahren in industriellen Produktivitätsstudien in den USA nachgewiesen wurde. Er besagt, dass Menschen in einer Organisation produktiver und die von ihnen gesteuerten Prozesse effizienter sind, wenn sie an einer Untersuchung teilnehmen. Bei meinem Ansatz der TeamProzessPerformance arbeiten sie mit einer transparenten Kennzahlen-Supervision.
Der Dokumentationsaufwand des Verfahrens ist eher gering, der Effekt indes groß. Dabei wollen die Beteiligten entweder ihren Beitrag an einem Prozesserfolg leisten (Typ A-Motivation: Erfolgssuche/ positive Verstärkung) oder ungern als Verursacher vermeidbarer Verzögerungen gelten (Typ-C-Motivation: Misserfolgsvermeidung/ negative Verstärkung). Die positive oder negative Verstärkung erfolgt zeitnah anhand der für alle sichtbaren Daten auf dem White-Board.
3. Agile Selbststeuerung im interprofessionellen Team
Bei der Einführung des Verfahrens muss darauf geachtet werden, dass die Teams das Quick-Time-Feedback als Instrument in ihrer Hand verstehen und nicht als Fremdkontrolle im Sinne von Akkordarbeit nach äußeren Zeitvorgaben. Psychologisch sollen die interne Kontrollüberzeugung (Selbstkontrolle) sowie die Selbstwirksamkeitserwartung der Mitarbeitenden unterstützt werden. Das Verfahren soll die Orientierung, Verbindlichkeit und Kontrolle im Team verstärken.
Mit der Implementierung der TeamProzessPerformance werden die interprofessionellen Teams ermuntert, auch auf die externen Prozesse ausserhalb der Säle und Untersuchungsräume selbst Einfluss zu nehmen. Sie treffen mit dem stationären Pflegedienst verbindliche Vereinbarungen über optimale Vorlaufzeiten für den Abruf der Patienten auf den Stationen oder klären Probleme der Patientenvorbereitung und des Patiententransports. Sie besprechen mit den Untersuchern/ Operateuren, wie diese ihre Tätigkeiten und Wegzeiten innerhalb der Wechselzeit so optimieren können, dass sie pünktlich am Start sind. Sie halten mitunter Kurzbesprechungen ab, die wir auch "Huddle" nennen. Der Begriff Huddle kommt aus dem American Football und steht für eine kurze Versammlung der Spieler zur Klärung der weiteren Strategie und der taktischen Spielzüge. Übertragen auf Kliniken stehen "Huddles" für maximal siebenminütige Kurzbesprechungen im Stehen vor Ort in den jeweiligen Interventionsbereichen. Dort werden mit Blick auf das Whiteboard die aktuellen Probleme und Engpässe analysiert sowie Lösungen gesucht und Maßnahmen vereinbart, welche die Prozesseffizienz kurzfristig verbessern können. Wenn Lösungen vor Ort durch das Team nicht gefunden werden können, dann werden die Probleme, Lösungsvorschläge und Empfehlungen an die zuständigen Führungsebenen gemeldet.j
Der Ansatz der Team-Prozess-Performance sieht vor, dass die Teams ihre Effizienz kontinuierlich von Intervention zu Intervention sowie nachhaltig über längere Zeiträume messen und verbessern. In unseren OP-Projekten konnte nachgewiesen werden, dass die Warte- und Wechselzeiten erheblich reduziert werden können. Wer die Prozessperformance spontan verbessern möchte, kann dies - ohne lange Analysen, Gutachten und Changeprojekte - viel einfacher über ständiges Feedback von transparenten Prozesskennzahlen und agile Teams erreichen.
Quellen:
Röhrßen, Thomas (2024). So lässt sich die Prozesseffizienz von OP-Teams steigern. Deutsches Ärzteblatt 2024; 121(20)
Röhrßen, Thomas/ Wohlmeiner, Klaus (2022). TeamProzessPerformance (TPP) in the OR with Gung Ho in: Tewes, Renate/ Matzke, Christiane (Hrsg.). Innovative Staff Development in Health Care. Springer Nature. London 2022
Röhrßen, Thomas/ Wohlmeiner, Klaus/ Straub, Christine/ Bode, Sebastian/ Nock, Lukas/ Cichon, Irina (2021). Dream Team- die Separation des Berufsdenkens und des Sektorendenkens sind endlich zu überwinden. in: Tewes, Renate/ Matzke, Christiane (Hrsg.). Innovative Personalentwicklung im In- und Ausland. Für Einrichtungen im Gesundheitswesen. Springer Verlag. Heidelberg 2021
Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Managementcoach und Unternehmensberater. Er führt seit 30 Jahren Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung sowie zur Personalentwicklung und Führungsqualifizierung in Unternehmen unterschiedlicher Branchen durch. Er hat nach vielen Jahren klinischer Projekterfahrung (OP, ZNA, Intensiv, Stationen etc.) in den letzten 10 Jahren vor allem daran gearbeitet, möglichst agile Formate mit einfachen Kennzahlen für interprofessionelle Teams zu entwickeln. Hierzu gehört sein Konzept der TeamProzessPerformance.
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