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  • AutorenbildThomas Röhrßen

Diversität leben - Internationale Fachkräfte können die Pflege bereichern, wenn wir das wollen!

Aktualisiert: 10. Jan.



Ein Beitrag von Ben Nabert und Thomas Röhrßen


Ohne Fachkräftegewinnung aus dem Ausland wird unser Gesundheitssystem es nicht schaffen. Das ist keine neue Erkenntnis. Nur: die unternehmerischen Erfolgsstrategien und -konzepte sind noch viel zu fragmentarisch, teilweise sogar recht experimentell. Das gilt nicht nur für die internationale Personalakquisition in Herkunftsländern, sondern auch für die Integration und Bindung von internationalen Pflegefachkräften in den Pflegeteams in Deutschland.



GRUNDSÄTZLICHE UND ETHISCHE HERAUSFORDERUNGEN DER REKRUTIERUNG


Unser FAKTENCHECK PFLEGE zeigt auf: Wir müssen uns einer langjährigen globalen Fachkräftekrise in den Industrieländern stellen und die Pflege steht da ganz vorne an.



vgl. BLOG Beitrag "Pflege in Not - Der Faktencheck"


Neben der Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Pflege brauchen Kliniken und Pflegeeinrichtungen eine Ausbildungsoffensive sowie die Gewinnung und Bindung ausländischer Pflegefachkräfte, um die Fachkräftekrise zu bewältigen. Die Zahlen zeigen: die Gewinnung und Bindung internationaler Pflegefachkräfte sind alternativlos im deutschen Gesundheitswesen.


Bei der Gewinnung und Bindung internationaler Pflegefachkräfte finden wir immer noch vereinzelt die Argumentation „zu kompliziert, zu teuer, zu aufwendig“.


„Doch die Argumentation `zu kompliziert, zu teuer, zu aufwendig‘ hinkt. Bei keinem der Pioniere, die heute erfolgreich internationales Recruiting betreiben, waren von Anfang an ausreichend Geld, Zeit und Know-how vorhanden. Die Programme entstehen ja nicht, weil die Personalabteilung Langeweile hat und nicht weiß, wohin mit ihrem Etat, sondern weil der Leidensdruck groß geworden ist, dass es nicht mehr anders geht. Das Motto lautet allerorts ‚learning by doing‘. Verantwortlichkeiten werden geklärt, zunächst vorübergehende dann langfristige Finanzierungsmöglichkeiten gefunden, Expertenwissen wird in Anspruch genommen. Fehler werden gemacht und nachgebessert. Und irgendwann läuft die Sache. Auch wenn laut der (…) Bertelsmann-Studie 54 Prozent der Pflegeeinrichtungen, die sich im internationalen Recruiting betätigen, den Aufwand als hoch oder sehr hoch einschätzen, sind 60 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit den im Ausland angeworbenen Fachkräften. Natürlich gibt es Gegebenheiten, Rückschläge und Hindernisse.“

(Roedenbeck Schäfer 2018, S. 14 f.)

Und auch soziale und ethische Gegenargumente werden immer mal wieder genannt, etwa die fachliche Ausbeutung der Gesundheitswirtschaften von Drittländern oder die Diskriminierung von ausländischen Pflegekräften im deutschen Pflegealltag.


Diese Argumentation kann zumindest unter 3 Aspekten relativiert werden:


1. Der „Globale Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften“ verbietet die Anwerbung von Fachkräften aus Entwicklungsländern mit einem kritischen Mangel an Gesundheitsfachkräften. Auch wenn es sich nur um eine Empfehlung handelt, wird der Verhaltenskodex von den allermeisten Arbeitgebern im Gesundheitswesen bei eigenen Rekrutierungsstrategien bzw. bei der Auswahl geeigneter Personalagenturen für internationale Fachkräfte angewendet. Das Gütesiegel „faire Anwerbung“ trägt ebenso dazu bei (siehe spätere Ausführungen in diesem Beitrag).

2. Deutschland steht mit der Anwerbung von internationalen Fachkräften in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess. Die meisten Arbeitgeber im Gesundheitswesen haben schon lange verstanden, dass die Anwerbung von internationalen Fachkräften nur ein Baustein ist und die betriebliche Integration und gesellschaftliche Teilhabe die deutlich größere Herausforderung darstellt. Sie haben den nötigen Respekt vor der Herausforderung an die Infrastruktur und Kultur ihrer Unternehmen. Sicher: Professionalisierung und Standardisierung von betrieblichen Integrationsprogrammen sind noch in den Kinderschuhen. Aber alles ist jetzt auf dem Weg. Und die Partner und Experten, welche den Prozess professionell begleiten, werden von den Arbeitgebern kritisch geprüft.

3. Das Recht der ausländischen Fachkräfte auf internationale Mobilität wird aus unserer Sicht in der Diskussion viel zu wenig berücksichtigt. Arbeitsmigration ist Teil der Geschichte der Menschheit und auch ein anzuerkennendes Menschenrecht! Wollen wir ausländischen Fachkräften den legalen Zugang in unsere Arbeitswelt ernsthaft versperren?



WARUM ENGAGIEREN SICH ZUKUNFTSORIENTIERTE UNTERNEHMEN IN DER INTERNATIONALEN PERSONALREKRUTIERUNG?


Antwort:

„Nicht nur, weil der Fachkräftemangel ihnen keine andere Wahl lässt. Sondern auch, weil internationale Rekrutierung für alle Beteiligten ungeheuer inspirierend ist. Weil sie einen Beitrag zur Gestaltung einer neuen, bunten Weltgemeinschaft leistet.“


(Maja Roedenbeck Schäfer 2018, S. 19)


Die Botschaft klingt in unserer aktuellen Realität sicher erst einmal sehr idealisierend, aber sie fordert die Kliniken und Pflegeeinrichtungen aus unserer Sicht zu Recht auf, eine klare Mission und Vision zur Diversität in der neuen Arbeitswelt zu formulieren. Wieso, weshalb, warum wollen Sie die Suche, Integration und langfristige Bindung von Fachkräften aus aller Welt fördern? Aus der Not? Weil Sie aus der Not eine Tugend machen? Oder um Diversität zu leben?




INTERNATIONALE REKRUTIERUNG IN DER STRATEGISCHEN PERSONAL- UND BUSINESSPLANUNG


Für das Personalmanagement und die HR-Funktionen in Kliniken und Pflegeunternehmen dreht sich das Hamsterrad akuter Personalbeschaffung angesichts der Fachkräftekrise schon bezogen auf den deutschen Arbeitsmarkt auf hohen Touren weiter.


Aber jetzt müssen sie zusätzlich noch unter hohem Handlungsdruck eine strategische Personalplanung mit dazugehörigem Business-Case für internationale Fachkräfte erarbeiten. Wir treffen regelmäßig auf Personalabteilungen, die aktuell erheblich unter diesen Lasten leiden. Das ändert leider nichts an der Notwendigkeit. Die strategisch ausgerichtete Personalbedarfsermittlung für internationale Pflegefachkräfte muss u.a. folgende Kennzahlen berücksichtigen:

  • Gesamt-Vollkräfte/ Fachkräfte im Pflege- und Funktionsbereich (IST)

  • Leistungsbedingter Personalbedarf (SOLL) z.B. aufgrund der Leistungs- bzw. Entwicklungsdynamik der Kliniken bzw. Pflegeeinrichtungen in ihrem regionalen Markt/ Umfeld (einschl. demographisch bedingte Steigerung von Fall- und Belegungszahlen)

  • Pflegeökonomische Steigerungsraten aufgrund von neuen gesetzlichen Grundlagen (z.B. geschätzte PPR 2.0 - bedingte Steigerungsrate von 8%)

  • Durchschnittliche Fluktuationsquote in den letzten Jahren im Pflege- und Funktionsbereich des Unternehmens

  • Schrittweise Personalabgänge aufgrund von Renteneintritt bzw. Prognose vorzeitiger Renteneintritte in den nächsten Jahren

  • Zahl der Ausbildungsplätze/ Zahl erfolgreicher Abschlüsse/ Übernahmequote

  • Zusätzliche Rückkehrer-Potenziale (z.B. nach Eltern- und Erziehungszeiten etc.)

  • Durchschnittliche Vollzeitäquivalente für Zeitarbeitsmitarbeiter*innen

  • Mögliche Erhöhung des Personalbedarfs mit Blick auf die Leistungs- bzw. Entwicklungsdynamik der Kliniken bzw. Pflegeeinrichtungen in ihrem regionalen Markt/ Umfeld (einschl. mögliche demographisch bedingte Steigerung von Fall- und Belegungszahlen).


Bei der Personalkostenermittlung zur internationalen Personalgewinnung, und -integration sind neben den fallbezogenen Personalzusatzkosten (z.B. Vermittlungsgebühren/ Agenturen) auch die fallunabhängigen fixen oder sprungfixen Personalzusatzkosten für das Personalmanagement und den Integrationsaufwand zu berechnen: z.B. Etablierung von entsprechenden Personalstellen im Stab, im administrativen Bereich oder im Pflegepersonalbudget wie z.B. Projektleitung International Recruiting, Integrationsbeauftragte/r etc. Weiterhin entstehen Kosten für kontinuierliche flankierenden Maßnahmen wie interkulturelle Beratung oder interkulturelles Training durch externe Anbieter. Auch für die pflegerische Praxisanleitung im betrieblichen Alltag entsteht ein höherer Aufwand. Nicht zuletzt leisten die Führungskräfte und Mitarbeitenden in den Pflegeteams viel in der Integrationsarbeit vor Ort.


Die Substitution von Leiharbeitskräften durch internationale Pflegefachkräfte ist rechnerisch in Hinblick auf die direkten Personalkosten einfach darstellbar, wie folgende Graphik zum Kostenvergleich verdeutlicht:




Graphik 1: TrueCare 2023


Die Darstellung zeigt die Kostendynamik bezogen auf die fallbezogenen Personalkosten bei Annahme einer Vermittlungsgebühr von 14.000 € + gesetzlicher Umsatzsteuer für eine ausländische Fachkraft und eher konservativ geschätzten 50 € Stundenlohn für eine Pflegefachkraft in Zeitarbeit. Hierbei sind allerdings die o.g. fallunabhängigen, fixen oder sprungfixen Personalzusatzkosten für Onboarding und Integration nicht enthalten.




AGENTUREN ALS STRATEGISCHE PARTNER IN DER PERSONALGEWINNUNG


Die Hospitalgruppen und Kliniken sowie die Altenhilfeträger und Pflegeinrichtungen gehen zurzeit eher langfristige Verbindungen mit etablierten internationalen Personalagenturen ein, weil sie diese als strategische Partner für die Gewinnung und Bindung internationaler Fachkräfte brauchen. Der Anspruch an eine hohe Sensibilität, Seriosität und soziale Verantwortlichkeit erfordert Partner, die eine nachgewiesene Expertise bezogen auf die sozialen, kulturellen, politischen und administrativen Verhältnisse sowie die einschlägigen Arbeitsmärkte in den Herkunftsländern haben und auch dort gut verankert sind. Im Grunde müssen diese Agenturen sich in beiden Systemen und Märkten als Qualitätsmarke bewähren. Nicht nur in Deutschland tragen sie Verantwortung, sondern auch im Herkunftsland, denn auch dort wird bei zunehmender Präsenz unterschiedlicher Anbieter die Sensibilität, Seriosität und Verantwortungsbereitschaft (responsibility) der einzelnen Anbieter von den interessierten Pflegefachkräften und den politisch Verantwortlichen zunehmend hinterfragt.

Inzwischen ist das Gütesiegel „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ etabliert, aber auch das reicht allein nicht mehr aus, um die Qualität und Seriosität von internationalen Personalagenturen sicher zu stellen.




Der Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Altershilfe Helmut Kneppe äußert sich in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel zum Gütesiegel so:


„Ein zentrales Leitprinzip des Gütesiegels „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ ist es, den Anwerbe- und Vermittlungsprozess nachhaltig zu gestalten. Eine mangelnde Strukturierung und eine passive Haltung durch Arbeitgebende im Anwerbeprozess können die Bindung der neuen Mitarbeitenden gefährden. Das Ankommen und das Bleiben werden durch eine Willkommenskultur und ein effektives Integrationsmanagement positiv gestaltet. Eine Orientierung bietet hierbei der ‚Werkzeugkoffer Willkommenskultur & Integration‘.“


(Helmut Kneppe. Tagesspiegel 4. Februar 2022)



Wir haben nachfolgend zuverlässige Ausschreibungs- und Auswahlkriterien aufgelistet, die nach unserer Erfahrung inzwischen bei der Suche nach einer geeigneten internationalen Personalagenturen für Pflegefachkräfte bei den meisten Unternehmen Anwendung finden und soweit möglich auch durch aussagefähigen Kennzahlen belegt werden sollten:


  • Ist die Agentur und sind auch deren internationale Auslandspartner in den definierten Arbeitsmärkten bzw. für die interessierten Pflegefachkräften in diesen Herkunftsländern als Länderexperten und vertrauenswürdige Marke etabliert? Besteht mit Blick auf die Aneignung der deutschen Sprache und die Integrationsfähigkeit ein ausreichendes Erfolgspotenzial bezogen auf die Pflegefachkräfte in diesen Ländern? Wie hoch ist die Anzahl der Bewerbungen insgesamt und im vergangenen Jahr in den jeweiligen Ländern?

  • Kann die Agentur das RAL-Gütezeichen für „faire Anwerbung Pflege in Deutschland“ nachweisen? Werden nur Pflegefachkräfte orientiert an diesen ethischen Vorgaben nur aus Ländern der WHO White List akquiriert?

  • Besteht ein ausreichend großer und vielfältiger Kandidatenpool ("Nurse Pool"), so dass unter Berücksichtigung z.B. der intrinsischen Motivation und individuellen Erfahrung und Qualifikation der Bewerber einerseits sowie der Arbeitgeberinteressen nach Fachspezialisierung und einschlägiger Berufserfahrung andererseits ein spezifisches Matching erfolgen kann? wird dieses Matching auch praktiziert?

  • Wird die Qualität und Effektivität der Sprachkurse regelmäßig überprüft?

  • Werden Zusatzqualifikationen bzw. Kurse angeboten, um die internationalen Fachkräfte auf die spezifischen Verhältnisse des deutschen Gesundheitswesens vorzubereiten und die Sprachkompetenz im Sinne einer geschlossenen Bildungskette aufrechtzuerhalten sowie fachpezifisch zu vertiefen, z.B. „Pflegedeutsch“ und „Deutsche Pflege“ „Klinischer Alltag im Krankenhaus“ und „Alltag in der stationären Altenpflege“?

  • Bestehen flankierende Maßnahmen und Zusatzangebote zum Integrations- und Diversitätsmanagement im Unternehmen?

  • Wie hoch ist die Gesamtzahl von jährlichen Anerkennungsprüfungen und wie ist die Erfolgsquote?

  • Wie ist die Arbeitgeberbindung bzw. wie hoch ist die Abwanderungsquote nach 1 Jahr und nach 2 Jahren?


Das beiliegende Formular „AGENTUR BENCHMARK“ als pdf zum Download ermöglicht eine schnelle Kurzbewertung von Agenturen für die Erstauswahl geeigneter Partner.




ALS PDF ZUM DOWNLOAD:

AGENTUR BENCHMARK
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HERAUSFORDERUNG INTEGRATION – DIVERSITÄT LEBEN


Die Unternehmen und Personalagenturen im Gesundheitswesen müssen das Thema Integration sehr ernst nehmen, wenn sie in den nächsten Jahren eine wirklich langfristige Bindungsfähigkeit schaffen wollen. Die Arbeitgeber werden zusammen mit den Agenturen als strategische Partner und auch mit weiteren Kooperationspartnern in der Region (Politik, öffentliche Verwaltung, Wohnungsbaugesellschaften, Migrationsberatungen der Wohlfahrtsverbände, internationale Kulturvereine und Gesellschaften etc.) dafür sorgen müssen, dass neben der betrieblichen Integration, auch die Probleme von Wohnen sowie sozialer und kultureller Teilhabe gelöst werden. Der Standort Deutschland bekommt jetzt eine neue Chance, seine Integrationsfähigkeit zu beweisen.


Angesichts der Fachkräftekrise besteht für die meisten Kliniken und Pflegeeinrichtungen keine Alternative zur Auslandsrekrutierung von Pflegefachkräften. Sie werden aktuell und in den nächsten Jahren neben anderen Optionen immer auch erfolgreiche Strategien der Auslandsrekrutierung entwickeln müssen, um ihren pflegerischen Stellenplan zu sichern. Und Pflegefachkräfte aus Drittländern werden auch weiterhin international Arbeitsplätze suchen. Der Standort Deutschland wird für sie ein attraktives Ziel bleiben. Beide Seiten wollen also etwas voneinander. Allerdings: ein viel zu großer Anteil der Erwartungen internationaler Fachkräfte an das betriebliche Umfeld in Deutschland wird noch enttäuscht.


Darauf weist auch eine Onlineumfrage der Wirtschaftspsychologin und Integrationsberaterin Grace Lugert Jose aus dem Jahr 2022 zu philippinischen Pflegefachkräften hin. Die Ergebnisse machen betroffen und zeigen, welche große Aufgabe uns da bevorsteht:


„Im vergangenen Jahr führte Grace Lugert-Jose eine Onlineumfrage unter 109 Pflegekräften durch. Das Thema war: Wie zufrieden sind die philippinischen Pflegefachkräfte in Deutschland? Und bei dieser Studie ist rausgekommen, dass viele unzufrieden sind‘, erklärt sie. 47 Prozent, etwa die Hälfte der Befragten, würden ihren Job nicht an Freunde oder Verwandte in der Heimat weiterempfehlen, so das Ergebnis der Umfrage. Vor allem Heimweh, Diskriminierungen am Arbeitsplatz, aber auch das Gefühl, zu wenig berufliche Wertschätzung zu erhalten, werden von den Pflegekräften als Gründe genannt.“


(Deutschlandfunk am 8.5.2023)



Nathalie Hubenthal hat im Rahmen ihrer Dissertation „Wie die Migration von Pflegekräften mit im Ausland erworbener Berufsqualifikation die Pflegeberufe in Deutschland verändert – Wechselwirkungen zwischen den Berufsauffassungen der Zugezogenen und der kollektiven Rollenzuschreibung der Pflegeberufe“ (2021) im Projekt „Gesundheitsberufe im globalen Wandel“ der Universität Kassel und der Hochschule Fulda qualitative Interviews durchgeführt.


Die Ergebnisse zeigen den großen Nachholbedarf im Integrationsmanagement:


„Bezüglich ihrer Erfahrungen durch die Auseinandersetzung mit dem Berufs- und Rollenverständnis in Deutschland berichten die Befragten, dass sie eine strenge Arbeitsorganisation mit starr strukturierten Arbeitsabläufen sowohl in den Kliniken als auch in den Pflegeeinrichtungen wahrnehmen. Zwar erkennen sie die mit der Arbeitsorganisation verbundenen Regelsysteme und Routinen, verstehen jedoch nicht immer, welche konkreten Handlungen von ihnen im täglichen Arbeitsvollzug erwartet werden. Grund hierfür ist, dass zugeteilte Aufgaben und Tätigkeitsroutinen kaum den ihnen vertrauten Arbeitsschwerpunkten ihrer Herkunftsländer ähneln. Dies betrifft v.a. die Differenzierung zwischen körperbezogenen und handlungsfokussierten Pflegemaßnahmen. Die Zugezogenen sehen eine deutliche Schwerpunktsetzung bei den körperbezogenen Aufgaben. Sie berichten, sich einerseits wie Hilfskräfte zu fühlen. Andererseits erleben sie, dass die als einseitig wahrgenommene Ausrichtung der Pflege zu Abstrichen einer qualitativ hochwertigen Versorgung führt. Beispielsweise werden zu Pflegende durch die einseitige Tätigkeitsorientierung nicht gut genug kennengelernt, sodass situatives Handeln enorm erschwert wird. Trotz Schwerpunktsetzung bei den körperbezogenen Tätigkeiten reicht die Zeit dennoch kaum, um allen zu Pflegenden so viel Körperpflege zu bieten, wie es die Zugezogenen als grundlegend und würdevoll ansehen. Die Befragten, die in der Altenpflege arbeiten, berichten bspw. davon, dass das Angebot einer täglichen Dusche nicht gewährleistet werden kann. Die Befragten beschreiben, dass eher Quantität als Qualität bei den Pflegemaßnahmen und Tätigkeitsroutinen zählt.


Doch nicht nur wird angemahnt, dass für die tägliche körperbezogene Pflege zu wenig Zeit bleibt, auch wird bemängelt, dass kaum Zeit für notwendige Gespräche mit den zu Pflegenden da ist, sodass psychosoziale Arbeit nicht gewährleistet werden kann. Gründe dafür sind die hohe Belastung und Arbeitsdichte. Zurückgeführt werden diese auf mangelnde zeitliche Ressourcen sowie auf die als niedrig empfundene Personalschlüssel, welche sich durch regelmäßige krankheitsbedingte Ausfälle noch zusätzlich verschärfen.


Aufgrund dieser Erfahrungen in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen finden die Befragten größtenteils ihre Vorstellungen, Berufsbilder und Aufgabenschwerpunkte nicht wieder, was bei ihnen Verunsicherung und Ernüchterung auslöst und sie können daher häufig nicht auf vorhandene Kompetenzen und Wissensbestände zurückgreifen, zumal sie selbst bei vertrauten Tätigkeiten um Erlaubnis fragen müssen. Sie erleben ein Machtgefälle und sind von Dequalifizierung betroffen.“


(Hubenthal/ Blättner 2023. S. 70 f.)



Häufig ist zunächst im Management der Unternehmen ein Umdenkungsprozess erforderlich. Es kommt aus unserer Sicht entscheidend darauf an, welche Grundhaltung und Philosophie hier vorgelebt werden. Und es kommt auch darauf an, ob bereits beim ersten Anlauf notwendige Rahmenbedingungen, personelle Infrastrukturen und Unterstützungsmaßnahmen im Integrationsmanagement aufgebaut werden.


In enger Anlehnung an Ariadna Fürstenau haben wir ein 4 Stufen Modell zur Integration definiert (vgl. Ariadna Fürstenau. 2023. S. 25 f.):


Stufe 1 Monokulturalität: Strikte Unterordnung und Ignoranz Auf dieser "archaischen" Stufe wird die kulturelle Andersartigkeit mehr oder weniger ignoriert. Der Integrationsprozess wird einseitig als Einbahnstraße organisiert. Diese Variante „verlangt strikte Anpassung an die eigene Kultur (Leitkultur). Eine Unterordnung ist Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Kulturelle Eigenheiten anderer Kulturen werden verdrängt, um das scheinbar friedliche Miteinander nicht zu gefährden. Diese Variante der Multikulturalität ist zudem von der Angst geprägt, die eigene Kultur durch fremde Einflüsse zu verlieren.“ (Fürstenau S. 25).


Stufe 2 Interkulturalität: friedliche Koexistenz, Neugier und Toleranz Auf dieser Stufe wird zwar einerseits eine einseitige Integration in wesentliche Kernelemente der Leitkultur erwartet. Aber es werden andererseits gewisse kulturelle Freiräume toleriert. Hieraus ergibt sich dann ein friedliches Nebeneinander. Neben der dominierenden Leitkultur werden einzelne Subkulturen internationaler Fachkräfte toleriert. Man ist neugierig und interessiert sich für die „exotischen“ Einstellungen und Lebensgewohnheiten dieser Subkulturen als würde man eine Reise antreten. Aber man sieht im gemeinsamen Arbeitsprozess noch keinen umfassenden synergetischen Nutzen durch die internationalen Fachkräfte.


Stufe 3 Multikulturalität: Synergie und Akzeptanz auf Augenhöhe Auf dieser Stufe wird die eigene Leitkultur zwar nicht aufgelöst, aber schrittweise hinterfragt und teilweise relativiert. Es entsteht mehr Offenheit für neuen Synergien und Lösungen im „gemeinsamen Machen“. Die internationalen Fachkräfte werden weiterhin „als Gruppe irgendwie anders“ erlebt, können sich aber gleichwertig einbringen. Aus dem Austausch entsteht echte Bereicherung „on the job“. Jetzt wird gefragt: "Wie würdest Du das denn machen? Wie hast Du das gelernt? Wie ist Dein Ansatz? Was können wir von Dir lernen?".

Stufe 4 Transkulturalität: Individuelle Einzigartigkeit jenseits von kulturellen Stereotypen Auf dieser Stufe werden zwar die kulturellen Hintergründe in ihrem prägenden Einfluss auf den Einzelnen noch wahrgenommen. Allerdings liegt der Fokus nicht auf der Bildung von kulturellen Stereotypen („Die Philippinos sind…" "Die Deutschen sind...." "Die Mexikaner sind....".) sondern auf der Wahrnehmung individueller Unterschiede einzelner Menschen aller Kulturen („Samantha ist….“ „Florian ist…“ "Juan ist....") und ihrer persönlichen Stärken und Rollen im Team.



Gelungene Integration ist gelebte Diversität. Es wird einerseits das ganz Universelle und Gleiche der Menschen betont („Wir ticken als Menschen doch irgendwie alle gleich….“). Andererseits wird das ganz Individuelle und Besondere betont („Er/Sie ist….“). Das Denken in Gruppen und Stereotypen („Wir sind…..“ und „Die sind….“) tritt vollkommen in den Hintergrund. Der Einzelne zählt. Geht man aus der Distanz in die nähere Betrachtung, dann sind deutsche Pflegeteams auch ohne internationale Fachkräfte schon ganz schön divers, d.h. vielfältig und bunt in den Persönlichkeiten, Subkulturen, Werten und Lebensformen. Die internationalen Fachkräfte sind dann „nur noch“ eine weitere Bereicherung in dieser Diversität.


Das Management muss sich im neuen Zeitalter der Diversität vom uniformen Charakter der Corporate Identity verabschieden. Eine starke Unternehmenskultur wird immer auch von inneren Werten getragen werden. Aber diese Werte entwickeln sich weiter und werden von Mitarbeiter*innen immer wieder auch hinterfragt, neu interpretiert und im Verhalten divers performt (nicht uni-formt). Internationale Fachkräfte bereichern diesen Wertedialog. Scheinbar feste Begriffe wie „Loyalität“, „Empathie“ und „Dienstleistungsmentalität“ bieten nämlich Interpretationsspielräume und haben vielfältige Facetten und Ausdrucksformen.



WAS BEDEUTET INTERKULTURELLE KOMPETENZ?


Damit die Bereicherung in der Diversität gelingt, ist interkulturelle Kompetenz erforderlich.


Interkulturelle Kompetenz beruht auf 3 Säulen (vgl. auch Ariadna Fürstenau. 2023. S. 26 f.):


1. Selbstreflexion und Relativierung der Sichtweise Wir alle haben unseren eigenen Lebens- und Erfahrungsraum, unsere Kultur. Wir konstruieren unsere Sichtweise in diesem „Biotop“, einem sehr kleinen Ausschnitt der Welt. Daraus entstehen Selbstverständlichkeiten, viele Denk- und Verhaltensroutinen, die wir häufig nicht hinterfragen (müssen). Interkulturelle Kompetenz besteht in der Fähigkeit, die eigene Lebenswelt und die damit verbundenen Selbstverständlichkeiten zu reflektieren und zu hinterfragen sowie andere Sichtweisen und kulturelle Gepflogenheiten erst einmal als gleichwertig zuzulassen.

2. Hintergrundwissen über fremde Lebenswelten Die Bewältigung einer interkulturellen Situation erfordert neben der Selbstreflexion natürlich auch die Erarbeitung eines gewissen Hintergrundwissens über globale Migrationsentwicklungen, Grund- bzw. Menschenrechte, internationale Beziehungen etc. und vor allem über soziale, politische, wirtschaftliche, familiäre und kulturelle Verhältnisse, Wertesysteme, Umgangs- und Kommunikationsformen in den Herkunftsländern der internationalen Fachkräfte etc.

3. Narrative Empathie/ Neugier und Offenheit In der Unternehmensberatung arbeiten wir bei Analysen schon seit vielen Jahren mit dem Konzept von narrativen Interviews. Und genau dies ist die Herangehensweise, die in der interkulturellen Kompetenz gefordert ist. Im narrativen Interview ermuntert man den Gesprächspartner immer wieder zu erzählen. Beim Zuhören und Auswerten versucht man dann nicht, das eigene Vorwissen und die eigenen Stereotype einfach nur zu bestätigen. Man versucht eher über Perspektivenübernahme das Erzählte „mit dem Kopf des Anderen“ zu erfassen, d.h. man entwickelt Hypothesen darüber, welche Deutungsmuster der Gegenüber in seiner subjektiven Wahrheit und Wirklichkeit hat. Dabei entdeckt man in der Regel Neues. Wir rekonstruieren die innere Wirklichkeit des Gegenübers aus seiner ihn prägenden Biografie, Gemeinschaft, Kultur und Lebenswelt. Das ist narrative Empathie. Dabei wird ein vorschnelles „Ok, schon verstanden“ vermieden.


Der Religionsphilosoph Martin Buber (*1878 - gest. 1965) nennt dieses Innewerden des anderen Menschen, dieses Erfassen des Anderen in seinem Sosein, existentielle Begegnung: Er schreibt in seinem Werk "Das dialogische Prinzip":


"Die Hauptvoraussetzung zur Entstehung eines echten Gesprächs ist, dass jeder seinen Partner als diesen, als eben diesen Menschen meint. Ich werde seiner inne, werde dessen inne, dass er anders, wesenhaft anders ist als ich, in dieser bestimmten ihm eigentümlichen einmaligen Weise... (...)... diese Person, den personenhaften Träger der Überzeugung nehme ich in seinem Sosein an, aus dem seine Überzeugung gewachsen ist, ..."


(Martin Buber. Das dialogische Prinzip. Verlag Lambert Schneider. Heidelberg 1984. S. 283)




DIE MITTLERE FÜHRUNGSEBENE ALS GARANT DER INTEGRATION UND DER TRANSFORMATION VON GRUNDHALTUNGEN


Die Abteilungs-, Stations-, Wohnbereichs- und Funktionsbereichsleitungen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen nehmen eine Schlüsselrolle ein. Diese Leitungsmitarbeiter*innen agieren in einer Sandwich-Position:


„Mittelmanager befinden sich in einer Sandwich-Position zwischen ‚the vision at the top and the pain at the bottom‘ (Caye et al. 2010): Einer wachsenden Arbeitsbelastung und steigenden Führungsverantwortung steht eine geringe Wertschätzung innerhalb der Unternehmen gegenüber. In der Folge ist gerade die Motivation und Leistungsbereitschaft jener Führungsebene gefährdet, die als Leistungsträger und Motivatoren entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen.“


(Prognos 2011, S.8 )



Die Leitungen vor Ort sind die Garanten dafür, dass die Integration im betrieblichen Alltag gelingt. Sie sind in ihrer Sandwichposition "follower" und "leader". Sie sollen der Unternehmensstrategie zur erfolgreichen Bindung internationaler Fachkräfte und zur gelebten Diversität folgen ("follower"). Und sie müssen diese dann führend im Alltag umsetzen ("leader"). Sie kennen die Struktur, Kultur und Dynamik „ihrer“ Teams. Und ihre Grundhaltung und Führungssensibilität trägt entscheidend zur Willkommenskultur, Onboardingmentalität und Bindungskraft bei.


Pflegedirektionen, Personalentwickler und interkulturelle Trainer sollten sich nicht allein auf die Vermittlung von Kommunikations-, Umgangs- und Verhaltensregelungen sowie auf die Vereinbarung definierter Maßnahmen verlassen (z.B. Feedback-, Mitarbeiter- und Teamgespräche). Es geht um die Förderung eines transformationalen Führungsstils.


Transformationales Führen ist nicht direkt auf Verhaltensänderungen bei Mitarbeiter*innen ausgerichtet, sondern setzt auf eine intensive Selbstreflexion mit Veränderung von Grundhaltungen – von innen nach außen: erst Haltung, dann Handlung!


Transformational Führen in Zeiten der Integration heißt für die Führungskraft vor allem,

  • sich selbst in den eigenen Werten und Sichtweisen reflektieren

  • eigenes Denken in Stereotypen immer wieder relativieren und Individualität in ihrer Vielfältigkeit stärker betonen

  • Diversität sinnstiftend als Chance und Bereicherung im Team verstehen

  • kritische Haltungen und einfache Stereotype sowie Vorurteile und Diskriminierungen bei Mitarbeiter*innen identifizieren sowie diese im Einzelgespräch hinterfragen und verändern

  • Sensible Antennen für multikulturelle Probleme und Konflikte im Team entwickeln, rechtzeitig offensiv angehen, Teamhaltungen verändern und Spielregeln vereinbaren etc.



DER ANSATZ INTERKULTURELLER BERATUNG UND TRAININGS


Die Integration von internationalen Pflegefachkräften sollte durch interkulturelle Beratung und Trainings begleitet werden. Diese Trainings können gezielt für das Management und die Pflegedirektion, für das Stammpersonal und/oder die internationalen Fachkräfte angeboten werden. Sie können aber auch als Begegnungsformat für diverser Gruppen konzipiert werden.

Bei der Auswahl von Interkulturellen Beratern und Trainingsexperten sollte vor allem darauf geachtet werden, dass neben der einschlägigen Erfahrung und Expertise im Trainingsformat Praxisnähe erkennbar ist, etwas durch die Verwendung von Fallbeispielen aus der klinischen bzw. pflegerischen Praxis oder praxisnahe Übungen. Dabei sollten möglichst anschaulich die wichtigsten Unterschiede in Kultur, Kommunikation, Körpersprache und Alltagsritualen sowie die religiösen Hintergründe und Gewohnheiten nicht nur kognitiv verstanden sondern - wenn möglich auch – interaktiv erlebbar werden. Die Konsequenzen von unterschiedlichen Hygieneauffassungen, Ernährungsgewohnheiten etc. auf die Pflege sollten vermittelt werden. Weiterhin spielen die Kontakt- und Beziehungsaufnahme, der Umgang mit Konflikten, die Pflege des Gemeinschaftslebens und auch der Umgang in speziellen Situationen wie Schwangerschaft und Geburt sowie der Umgang mit kritischen Befunden, Trauer und Tod etc. eine bedeutende Rolle.



NONVERBALE RESONANZ UND GEMEINSAMES LERNEN


Preuss und Roedenbeck Schäfer (2020) erläutern, wie wichtig das Verständnis von nonverbalen Ausdrucksformen (Körperhaltung, Mimik, Gestik) und paraverbalen Signalen (Stimme) für den interkulturellen Dialog ist:


„Bezüglich Stimmlage, Intonation und Akzent fällt auf, wie sehr sie die Sympathie gegenüber Menschen beeinflussen können. Wenn beispielsweise eine Pflegekraft aus Frankreich oder Brasilien Deutsch mit französischem oder portugiesischem Akzent und ebensolcher Intonation spricht, wird das Gesagte in Deutschland oft als charmant wahrgenommen. Bei Pflegekräften aus Polen oder der Ukraine beschrieb eine uns bekannte Pflegedienstleitung die Kommunikation teilweise eher als schroff und laut. Auch die Tonlage kam ihr bei den polnischen Kolleginnen höher vor. Bei brasilianischen Kolleginnen schien die Stimmlage dafür im Vergleich tiefer. Je nachdem, wie die Intonation und Stimmlage in der Muttersprache eines Menschen sind, übertragen sie sich auf das Gespräch in deutscher Sprache und wirken sie sich auf den Verlauf und Ausgang des Gesprächs aus.


Lächeln und Blickkontakt sind weitere Aspekte, die in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich bewertet werden. Auf manche Kulturen wirken Deutsche kalt, weil sie wenig lächeln, auf andere Kulturen wirken Deutsche dagegen recht offen. Das hängt immer von den eigenen Gewohnheiten ab. In Deutschland ist es üblicher, den Blickkontakt zu halten, als beispielsweise auf den Philippinen. Dort ist es normal, den Blick zu senken, wenn man unsicher ist.


Ebenso ist die Intensität des Körperkontakts ein wichtiger Punkt. In manchen Kulturen ist es ungewöhnlich, sich im Gespräch gegenseitig zu berühren. Eine Körperdistanz von einer Armlänge kann Mindestmaß sein. Für andere Kulturen ist es normal, sich zur Begrüßung Küsschen zu geben, die Hände zu schütteln oder eine leichte Verbeugung zu machen.“

(Prauss und Roedenbeck Schäfer 2020. S. 102 f.)


Der Ausdruck von Unzufriedenheit sowie der Umgang mit Konflikten ist kulturell sehr unterschiedlich. In Deutschland wird vergleichsweise eher ein offener, kritik- und konfliktfähiger Dialog praktiziert, während in anderen Kulturen ein drohender Gesichtsverlust vermieden und mehr aus dem Kontext heraus und wischen den Zeilen gelesen werden muss. Das Stammpersonal in der Pflege ist dann gefordert, eine neue Stimmlagen- und Mimikresonanz zu entwickeln, um besser verstehen zu können. Bei Wahrnehmung und Würdigung dieser Unterschiede müssen beide Seiten zur gelungen Integration beitragen.



EMOTIONEN ZWISCHEN HEIMWEH UND HOFFNUNG


Weiterhin geht es aber auch um die individuelle Wahrnehmung des Einzelnen sowie den Umgang mit typischen kritischen Situationen und negativen Emotionen wie z.B. Kulturschock, Anpassungsprobleme und depressive Verstimmungen, Heimweh und Trauer, Ärger und anspruchsvolle Erwartungshaltung, biografische Krisen etc. Zur Bewältigung dieser kritischen Situationen sollten zusätzlich zu den Führungskräften, Paten und Praxisanleitungen auch andere Experten aus Beratungsstellen, Migrationsdiensten der Wohlfahrtsverbände, ehrenamtliche Helfer etc. als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.



DIE 5 PHASEN BIS ZUR GELUNGENEN INTEGRATION


1. STRATEGISCHE, KONZEPTIONELLE UND BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE PLANUNG

Unternehmen, die mit dem ersten Einstieg in die Gewinnung, Bindung und Integration ausländischer Fachkräfte beginnen, benötigen zunächst eine strategische, konzeptionelle und betriebswirtschaftliche Planungsphase (Personalplanung, Business-Case etc.) einschließlich der Auswahl strategischer Partner und geeigneter Experten. Mit den Partnern und Experten sind nicht nur Leistungskataloge und Vertragswerke abzustimmen, sondern auch der Gesamtprozess mit Meilensteinen und Fristen sowie die konkrete Arbeitsteilung und Ergänzung im Ablauf.


2. VORBEREITUNG Die daran anschließende Vorbereitungsphase in den Unternehmen beginnt mit der Vermittlung und Auswahl von internationalen Fachkräften. Agenturen mit einem großen "Nurse Pool" ermöglichen natürlich eine sehr individuelle bedürfnis- und bedarfsbezogene Auswahl. Dadurch kann schon einmal ein grundsätzliches Missmatching mit negativen Folgen und hoher Frustration für die Bewerber und das Unternehmen verhindert werden. Bis zur Einreise dauert es dann nach der Auswahl in der Regel noch 12-14 Monate. Spätestens jetzt müssen die Infrastrukturen und Prozesse für das Integrationsmanagement, die Praxisanleitung und das Onboarding sowie die Kultursensibilisierungsprojekte implementiert werden.


Erhebliche Vorteile entstehen dann, wenn die Partneragenturen vor der Einreise bereits im Herkunftsland (Live oder Online) zusätzlich zur Sprachausbildung erste gezielte Integrationsmodule anbieten, welche die Einreisenden auf die Kultur und auch die Arbeitsplätze im deutschen Gesundheitswesen vorbereiten: Trainings- und Schulungsprogramme z.B. im Bereich „Pflegedeutsch – Fachsprache lernen“, „Rollen und Abläufe im deutschen Klinikalltag“, „Arbeit in der stationären Altenpflege in Deutschland“, „Soziales Leben und Alltagsgewohnheiten in Deutschland“, „Wie verhalte ich mich in der Onboardingphase“ können viel Orientierung und Sicherheit noch vor der Einreise geben. Diese Kurse können auch sehr gezielt Einfluss auf das Erwartungsmanagement der internationalen Fachkräfte nehmen, so dass unrealistische Erwartungen sowie die damit verbundenen Enttäuschungen nach der Einreise vermieden werden können.


3. WILLKOMMEN

Wenn die Unternehmen und Agenturen diese Vorbereitung erfolgreich abgeschlossen haben, kann mit dem Einreisedatum die Willkommensphase beginnen. Eine perfekte Dramaturgie ist wichtig, weil die zwischenmenschlichen Signale und Begegnungen hier eine besondere emotionale Bedeutung haben. Prauss und Roedenbeck Schäfer (2020) geben zahlreiche praktische Hinweise zum Einreise- und Willkommensprogramm wie z.B. Informationspakete vor der Einreise, Abholung bei Ankunft, Alltagseinführung bezogen auf Anfahrtsweg zur Arbeit, Einkauf im Supermarkt, Hinweise zu Strom/Heizung in der neuen Wohnung, Willkommensgeschenk und Vorstellungsrunde im neuen Team, Begrüßungsgespräch mit dem Buddy/ Tandempartner/ Paten, organisatorische Hilfen bei Anmeldung des Wohnsitzes, Eröffnung eines Bankkontos, Vereinbarung regelmäßiger Feedbackgespräche etc.


4. ONBOARDING UND INTEGRATION

In der Onboarding- und Integrationsphase arbeiten nun Integrationsmanager*innen, interne und externe Projektleiter*innen (im Unternehmen und den Partnerunternehmen), Praxisanleiter*innen, Pflegedienst-, Stations-, Wohnbereichs- und Teamleitungen im Pflegedienst sowie das Personalmanagement und die Unternehmensführung innerhalb der vorab vereinbarten Regelabläufe und Maßnahmen eng zusammen.


5. EVALUATION Die Evaluationsphase beginnt schon mit den ersten wöchentlichen Feedbackgesprächen zwischen den Betroffenen, Verantwortlichen und Experten, zieht sich dann aber parallel über den ganzen Prozess hin.



Für Unternehmen gilt es in der Vorbereitungs-, Willkommens- ; Onboarding- und Integrationsphase die Formate, Rollen, Zuständigkeiten und Abläufe in einer für alle transparenten Dramaturgie zu strukturieren. Dabei sollte immer mit dem „Kopf und Herzen der Einreisenden“ und dem „Kopf und Herzen des Stammpersonals“ gedacht und gefühlt werden.



FAZIT


Angesichts der Fachkräftekrise kann in Kliniken und Pflegeeinrichtungen nur die reale Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegealltag in Kombination mit einer Ausbildungsoffensive für die Pflegeberufe und einer Rekrutierung von internationalen Pflegefachkräften eine tiefgreifende Veränderung bewirken. Dabei sollten die Arbeitgeber im Gesundheitswesen klären, ob sie mit der internationalen Fachkräftegewinnung nur aus der Not eine Tugend machen wollen oder diese als Entwicklungsschritt auf dem Weg zu einer offenen und vielfältigen Weltgemeinschaft sehen. Das ist eine Frage der Haltung!


Wenn die Unternehmen von Anfang an der Mission „Diversität leben“ folgen, sich strategisch und systematisch vorbereiten, die internationalen Fachkräfte und das Stammpersonal kontinuierlich begleiten und dabei auch akzeptieren, dass immer auch Hindernisse, Missverständnisse und Rückschläge auf diesem Weg liegen, werden sie die aktuellen Engpässe bewältigen und dabei ihre Vision einer offenen und vielfältigen Unternehmenskultur verwirklichen.


Ben Nabert ist Wirtschaftsjurist und als Unternehmer seit über 20 Jahren international u.a. im Nahen und Mittleren Osten und Asien aktiv. Mit der Gründung von TRUECARE im Jahr 2019 hat er sich ganz auf die Gewinnung und Integration von internationalen Fachkräften im Gesundheitswesen konzentriert. TRUECARE hat bisher über 800 Pflegefachkräfte erfolgreich vermittelt und ist eines der führenden Unternehmen der internationalen Pflegefachkräftegewinnung in Deutschland.




Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe/ Coach und Unternehmensberater sowie Leadership-Experte und Autor. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der roehrssen consult GmbH und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der TRUECARE Pflegepersonalvermittlung GmbH. Er führt seit über 30 Jahren Projekte zur Strategie-, Struktur- und Personalentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching durch.





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Grace Lugert Jose. Christiane Neehoff-Tylla. Ben Nabert


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LITERATUR


1) Deutschlandfunk. Ausländische Pflegekräfte - Warum viele kommen und wieder gehen. Audio und Text 8.5.2023


2) GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Fachkräftemigration aus der Sicht von Partnerländern – Wege zu einer entwicklungsorientierten Migrationspolitik. Bonn 2013.



3) Nathalie Hubenthal. Wie die Migration von Pflegekräften mit im Ausland erworbener Berufsqualifikation die Pflegeberufe in Deutschland verändert – Wechselwirkungen zwischen den Berufsauffassungen der Zugezogenen und der kollektiven Rollenzuschreibung der Pflegeberufe. Dissertation 2021


4) Nathalie Hubenthal und Beate Blättner. Wechselwirkungen zwischen mitgebrachten und bestehenden Berufszuschreibungen. In: Bussse/ Kunhardt (Hrsg.). Integration ausländischer Mitarbeiter in die Pflege. Bern 2023.


5) Ariadna Fürstenau. Synergie in internationalen Teams gewinnbringend nutzen. In: Bossle/ Kunhardt (Hrsg.). Integration ausländischer Mitarbeiter in die Pflege. Bern 2023


6) Helmut Kneppe. Internationale Pflegekräfte: Das Ankommen und das Bleiben gestalten. Tagesspiegel 4. Februar 2022



7) Prognos - Dr. Jürgen Meyer Stiftung. Das mittlere Management. Die unsichtbaren Leistungsträger. Köln 2013




8) Olivia Prauss und Maja Roedenbeck Schäfer. Betriebliche, kulturelle und soziale Integration ausländischer Pflegekräfte. Regensburg 2020

9) Maja Roedenbeck Schäfer. Wie die Anwerbung von ausländischen Fachkräften gut gelingen kann. Internationales Recruiting in Sozial- und Gesundheitsunternehmen. Regensburg 2018


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