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Trennung - fair, konsequent und professionell

Aktualisiert: 16. Aug. 2023

Ein Beitrag von Dr. Reinhard Wagner und Thomas Röhrßen

Für viele Manager*innen ist es eines der schwierigsten Szenarien in der Personalführung: Eine Führungskraft zeigt gravierende Defizite und eine mangelnde Eignung. Unternehmensstrategien können in dem Bereich nicht konsequent umgesetzt werden, kritische Qualitätsabweichungen treten auf, der wirtschaftliche Erfolg bleibt aus, das Image nimmt schaden, die Fluktuation nimmt zu oder notwendige Entwicklungen sind blockiert. Es gibt keine gute Prognose, keine Chance mehr. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist unausweichlich. Jetzt bestehen erhebliche Risiken: langwierige und eskalierende Konflikte mit der Gefahr der internen oder externen Ausbreitung, aggressive Schuldzuweisungen, persönliche Kränkungen und Krisen verbunden mit irrationalen Reaktionen, Unzufriedenheit und schwelende Konflikte im Umfeld der Führungskraft, erhebliche finanzielle Aufwendungen für juristische Auseinandersetzungen und Abfindungen, Imageschäden auf beiden Seiten. Wie wird man der Situation, den Betroffenen und den unternehmerischen Anforderungen gerecht?

Wer nur noch die Trennung als Ausweg sieht, muss zunächst verantwortungsvoll klären, wo die eigentlichen Ursachen für die bestehenden Probleme und Defizite liegen.

Hierzu sind aus unserer Sicht vor allem zwei Differentialdiagnosen erforderlich: eine personenzentrierte und eine strategisch-strukturelle Diagnose.




PERSONENZENTRIERTE DIFFERENTIALDIAGNOSE ZUM FÜHRUNGSPROFIL



Abb. 1: LeadershipProfil nach Alex Hoppe und Thomas Röhrßen 2021

Bestenfalls haben Sie ausgehend vom Aufgabenprofil bereits ein klares Anforderungsprofil an die Position formuliert und können einen direkten Abgleich zwischen Anforderungen (SOLL) und den kritischen Abweichungen (IST) vornehmen.

Sofern Sie nicht über ein Anforderungsprofil verfügen, können Sie anhand eines Schlüsselkompetenz-Modells die eigentlichen Defizite und Probleme näher identifizieren und beschreiben.


Unser LeadershipProfil (siehe Abb. 1) kann als Strukturhilfe dienen:


  1. Persönlichkeitsmerkmale (traits) Im Zentrum des Modells stehen die eher stabilen Persönlichkeitsmerkmale (traits) einer Führungskraft.

  2. Persönliche Kompetenzen Der mittlere Ring des Modells steht für persönliche Kompetenzen im Bereich Grundhaltung, Selbststeuerung und Selbstmanagement. Persönliche Kompetenzen sind z.B. Verantwortungsübernahme, Belastbarkeit, emotionale Selbststeuerung, Impulskontrolle, Resilienz, Konfliktfähigkeit, Spannungstoleranz, Loyalität, Flexibilität.

Die persönliche Kompetenz beeinflusst auch die Kompetenzdimensionen im äußeren Ring unseres Modells.


"Die 5 wichtigen Kernkompetenzen (...) werden 'in der Mitte' getragen von der Selbststeuerung und persönlichen Performance einer Führungskraft. Diese zentrale Rolle soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: bei einem Chirurgen ergibt sich ein gutes Operationsergebnis nicht nur aus dem fachlichen Know-how und der klinischen Erfahrung (Fach-Kompetenz), sondern auch aus seiner emotionalen Selbststeuerung und Stabilität. Diese ermöglicht ihm den Zustand einer hohen Stressstabilität, Vigilanz und konzentrierten Gelassenheit während der gesamten OP - insbesondere auch in kritischen oder höchst anspruchsvollen Situationen - aufrecht zu erhalten (Persönliche Kompetenz)."


(Thomas Röhrßen. Fordern, Fördern oder Outplacement? in: Düllings/ Weiser/ Westerfellhaus. Fokus Führung. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2016. S. 102 )


3. Fachliche, methodisch-organisatorische, strategisch-unternehmerische, soziale und Führungs-Kompetenz Der äußere Ring des Modells beschreibt 5 Kompetenzdimensionen:


a) Die fachliche Kompetenz umfasst mehrere Subkriterien wie z.B.: Fachwissen einschl. der ständigen Aktualisierung von fachlichen und wissenschaftlichen Wissensbeständen, Fachkönnen und fachliche Performance/ Ergebnisqualität, Lern- und Entwicklungsbereitschaft sowie -fähigkeit, einschlägiges Erfahrungswissen und Spezialexpertise etc.

b) Die methodische und organisatorische Kompetenz bezieht sich einerseits auf die persönliche Selbstorganisation und den Arbeitsstil (z.B. Überblick, Prioritätensetzung, Aufgabenplanung, Arbeitsvorbereitung, Ziel- und Ergebnisorientierung, Sorgfalt und Zuverlässigkeit, Effizienz, Kontrolle) sowie andererseits auf die Betriebsorganisation im eigenen Verantwortungsbereich (Analyse, Planung, Steuerung und Überwachung der Strukturen, Aufgabenverteilungen, Prozesse etc.).

c) Die strategisch-unternehmerische Kompetenz beschreibt alle Teilfähigkeiten zur markt- und bedarfsgerechten Ausrichtung des eigenen Leistungsbereichs. Dies beinhaltet einerseits die strategische Intelligenz, d.h. das Erkennen von Optionen/ Chancen, erfolgreichen Geschäftsideen und Innovationen, die Entwicklung von Strategien und Visionen bis hin zur konzeptionellen Reife sowie die konsequente Umsetzung dieser Konzepte in der Praxis innerhalb einer strukturierten Vorgehensweise z.B. mit Masterplänen. Weiterhin umfasst die strategisch-unternehmerische Kompetenz das Analysieren, Bewerten und Handeln in komplexen Unternehmenswelten sowie die betriebswirtschaftliche Planung und Bewertung von Geschäftsmodellen (business cases).

d) Die soziale Kompetenz beschreibt alle Teilfähigkeiten, welche das erfolgreiche Agieren in sozialen Beziehungen und Netzwerken ermöglichen wie z.B. authentischer Selbstausdruck, Kontaktfähigkeit, Zuhörfähigkeit, Empathie und Perspektivübernahme, Hilfsbereitschaft, sachliche und emotionale Überzeugung, Aufbau nachhaltig vertrauensvoller Beziehungen und Bindungen, Kooperationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft, Integration in das Team.

e) Die Führungskompetenz beschreibt aufbauend auf der sozialen Kompetenz alle Teilfertigkeiten in der gezielten Führung und Entwicklung von Mitarbeiter*innen wie z.B. Potenzialerkennung, individuelle Förderung, Anleitung, Information, Delegation, Partizipation, Anerkennung, Kritik, Zielverankerung, Kontrolle.


Eine faire und konsequente Führung im Vorfeld einer möglichen Trennung fordert zu nächst eine differenzierte Analyse der Defizite. Sie sollten Ihre Personalentscheidung vorab anhand folgender Fragen prüfen:

  1. Kompetenzbereich In welchen Kompetenzbereichen (vgl. LeadershipProfil oben) liegen die Defizite bei der betroffenen Führungskraft?

  2. Verhaltensoperationalisierung Wie können die Defizite operational in der Umsetzung zentraler Fach-, Dokumentations-, Administrations- und Organisationsaufgaben, der Kommunikation und Zusammenarbeit, dem Führungsverhalten, dem strategischen oder unternehmerischen Handeln etc. beschrieben werden? Bei welchen Anforderungen bzw. in welchen typischen und kritischen Situationen tritt es auf und wer ist ggf. noch beteiligt bzw. betroffen?

  3. Negative Folgen Welche negativen Konsequenzen ergeben sich für bestimmte Bereiche (beteiligte/ betroffene Personen, Kolleg*innen, Geschäftspartner, im Bereich, im Unternehmen, im relevanten Umfeld etc.); was genau sind die "Schäden" die im Unternehmen oder Umfeld bezogen auf relevante Dimensionen wie z.B. Ergebnisqualität, Leistung, Effizienz, Sicherheit, Haftungsrisiken, Image, Kooperation, Zufriedenheit, Motivation, Fluktuation etc. entstehen?

  4. Historie/ Verlauf ("Epikrise") Wann traten die Defizite als erstes auf und wie haben sie sich entwickelt? Was wurde im zeitlichen Verlauf bisher unternommen, um den Defiziten entgegen zu wirken? Welche Effekte wurden dabei erzielt?

Diese Bewertung anhand der zentralen Kompetenzbereiche einer Führungskraft leitet den nächsten Schritt ein. Jetzt sollten Sie auf der Grundlage Ihrer Bewertung und Ihrer Erfahrungen einigermaßen zuverlässig einschätzen, welche Faktoren die Problematik aufrechterhalten und welche Faktoren eine positive Veränderung noch begünstigen oder verhindern. Hierzu können Sie den von uns entwickelten "Circle of Change" einsetzen.




DER "CIRCLE OF CHANGE" UND DIE ÄNDERUNGSPROGNOSE





Abb. 2: Circle of Change aus: Thomas Röhrßen/ Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021. S. 150

Über den "Circle of Change" prüfen Sie anhand von 5 Dimensionen, welche Ursachen einem Veränderungsprozess entgegenstehen und welche Prognose sich hieraus ergibt.


"1. Problemeinsicht und Selbstverantwortung ('Erkennen und Annehmen'): Besteht bei der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter eine grundlegende Problemeinsicht bzw. ist sie/er bereit, einen persönlichen Anteil für das Problem oder Defizit zu sehen und anzunehmen? Wenn der Fokus hier nicht auf der eigenen Selbstverantwortung liegt, besteht eine ungünstige Prognose. Über eine wertschätzende, sachliche und klare Konfrontation sollte Selbstbetroffenheit und Selbstverantwortung über die angezeigten Defizite geschaffen werden. Das ist die erste große motivationale Voraussetzung für den Change. Erst sollte diese Stufe erreicht werden, bevor weitere Stufen gegangen werden. Das positive Ergebnis dieses Prüfschritts zeigt sich in der Einstellung: 'Ich sehe meinen Anteil an dem Problem. Ja, ich übernehme die Verantwortung dafür!'


2. Vertieftes Verständnis und Ursachenanalyse ('Ursachen und Hintergründe verstehen'): Die grundlegende Veränderung von Kompetenz- und Leistungsdefiziten sowie kritischen Einstellungen und Verhaltensweisen erfordert ein vertieftes Verständnis für die Ursachen und Hintergründe, denn genau da muss ja im Sinne einer „Wurzelbehandlung“ angesetzt werden. Häufig fehlt Mitarbeiter*innen die Fähigkeit, diese Defizite systematisch zu hinterfragen, so dass es Ihre Aufgabe ist, eine differenzierte Ursachenanalyse zu erbringen, Hypothesen zu prüfen und diese im Dialog zu spiegeln. Das positive Ergebnis dieses Prüfschritts zeigt sich in der Einstellung: 'Ich habe die Ursachen meines Problems erkannt und sehe konkrete Ansatzpunkte für eine gezielte Veränderung. Ja, ich habe verstanden!'


3. Änderungsmotivation ('Wollen'): Wenn die Problemeinsicht da ist, die Verantwortung für den eigenen Anteil angenommen wird und auch die Ursachen und Ansatzpunkte für eine Veränderung geklärt sind, heißt das noch lange nicht, dass motivationspsychologisch ausreichende Triebkräfte zur Veränderung vorhanden sind. Manchmal besteht sogar die stille Hoffnung, dass man, so wie man eben ist, mit den Schwächen, Problemen und Defiziten einfach akzeptiert und angenommen wird. Manchmal ist die Zuversicht nicht da, dass man wirklich etwas ändern kann (mangelnde Selbstwirksamkeitserwartung). Manchmal sind Aufwand und Anstrengung gefühlt auch so hoch, dass man jetzt schon kapituliert (niedrige Bewertung der eigenen Frustrationstoleranz). Die Überschreitung des „inneren Rubikon“ (...) erfolgt durch ausreichend starke emotional-motivationale Kräfte, wie z.B. bestehende Unzufriedenheit mit der Situation, die Sorge vor drohenden negativen Konsequenzen, die belastete Beziehung zum Vorgesetzten oder zu anderen Personen im Umfeld, das Vertrauen in die Unterstützung des Vorgesetzten, die Zuversicht auf einen positiven Entwicklungsprozess, etc. Das positive Ergebnis dieses Prüfschritts zeigt sich in der Einstellung: 'Ich will wirklich an meinem Problem arbeiten und bin entschlossen, etwas zu verändern. Ja, ich will!'


4. Änderungspotenzial und -kompetenz ('Können'): Wenn die Problemeinsicht da ist, ein vertieftes Verständnis besteht und eine Änderungsmotivation vorliegt, heißt dies noch lange nicht, dass die Person auch über ein ausreichendes Potenzial bzw. die entsprechenden Kompetenzen zur persönlichen Veränderung verfügt. Ist das Wollen stark ausgeprägt, ohne dass das 'Können' ausreichend gegeben ist, dann ist das durchaus tragisch. Sie sollten mit Ihrer diagnostischen Kompetenz und Ihrem Erfahrungswissen bzw. mit kritischem Blick auf die Mitarbeiterin bzw. den Mitarbeiter analysieren und prognostizieren, ob die Mitarbeiterfähigkeit zur Selbstentwicklung so ausgeprägt ist, dass eine erfolgreiche Veränderung höchstwahrscheinlich ist. Das positive Ergebnis dieses Prüfschritts zeigt sich in der Einstellung: 'Mit meinen Möglichkeiten und Fähigkeiten kann ich das Problem lösen. Ja, ich kann!'

5. Umfeld-Akzeptanz ('Dürfen'): Letztendlich ist (unabhängig von den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters) noch zu klären, ob das (...) interne oder externe Umfeld einen Veränderungsprozess zulässt bzw. unterstützt. Wenn ein kritischer Verlauf über einen längeren Zeitraum zu einer mangelnden Akzeptanz und Ablehnung bei internen Schlüsselpersonen oder externen Partnern geführt hat, dann kann trotz günstiger persönlicher Voraussetzungen ein Wandel manchmal nicht mehr realisiert werden. In diesem Fall wäre die Entwicklung durch das Umfeld so versperrt bzw. blockiert, dass eine Veränderung unabhängig vom Wollen und Können der Person nicht mehr möglich ist. Das positive Ergebnis dieses Prüfschritts zeigt sich in der Feststellung: 'Man gibt mir die Möglichkeit zur Veränderung. Ja, ich bekomme eine Chance!'"


(Thomas Röhrßen/ Dietmar Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021. S. 150 f.)


DRUCKKÜNDIGUNG ALS LETZTE CHANCE ZUR VERHINDERUNG VON EXISTENTIELLEN UNTERNEHMENSSCHÄDEN

Die Dimension 5 (Umfeld-Akzeptanz) des 'Circle of Change' verweist auch auf einen juristischen Sonderfall: die sogenannte Druckkündigung. In diesem Sonderfall drohen dem Unternehmen schwere wirtschaftliche Nachteile, weil z.B. Mitarbeiter*innen, zentrale Kooperations- und Geschäftspartner und/oder Kunden dem Unternehmen mit Nachteilen drohen, wenn der Arbeitgeber die Führungskraft nicht entlässt.

Es wird zwischen "unechter" und "echter" Druckkündigung unterschieden. Bei der "unechten" Druckkündigung sind nachweislich verhaltens- oder personenbedingte Gründe seitens des Arbeitnehmers ausschlaggebend für die negativen Konsequenzen, die das Umfeld androht (BAG, NZA 2014, S. 109). Bei der "echten" Druckkündigung üben Dritte einen erheblichen Druck auf das Unternehmen aus, obwohl eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen ist. Da der Arbeitgeber aber weiter unter Druck gesetzt wird und ihm wirtschaftliche Nachteile drohen, kommt nach der Rechtsprechung eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Form der „echten Druckkündigung“ in Betracht (nach Stimmen in der Literatur handelt es sich dabei dagegen um eine personenbedingte Kündigung). Die für jede betriebsbedingte Kündigung erforderliche unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers liegt hier darin, auf die innerbetriebliche (Druck von Mitarbeiter*innen) oder außerbetriebliche Drucksituation (Druck von Kooperationspartnern bzw. Kunden) zu reagieren (BAG, NZA 2017, S. 985; BAG, NZA 2014, S. 109). Das für eine betriebsbedingte Kündigung außerdem vorausgesetzte dringende betriebliche Erfordernis besteht darin, dass der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen auf die Drohung regieren muss, weil deren Verwirklichung anderenfalls bei ihm schwere wirtschaftliche Schäden auslösen würde. Da der betroffene Arbeitnehmer ggf. unverschuldet in diese Situation gerät, bestehen für eine echte Druckkündigung aber strenge juristische Anforderungen.

Die Rechtsprechung verlangt in diesem Fall stets, dass sich der Arbeitgeber zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellt, indem er z.B. individuelle Unterstützungsmaßnahmen anbietet und die Schlüsselpersonen zu überzeugen versucht, von den negativen Konsequenzen Abstand zu nehmen. Wenn dieser Schritt nicht gelingt, dann muss der Arbeitgeber anderweitige geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten prüfen, die den Nachteil deutlich reduzieren. Die Kündigung muss im Ergebnis das einzige in Betracht kommende Mittel sein, um drohende schwere wirtschaftliche Schäden für das Unternehmen abzuwenden (vgl. BAG, NZA 2017, S. 500; BAG, NZA 2017, S. 116; BAG, NZA 2014, S. 109).



STRATEGISCH-STRUKTURELLE DIAGNOSE

Immer wieder stellen wir in der Beratung fest, dass neben persönlichen Defiziten auch strategisch-strukturelle Defizite im Unternehmen bestehen, die eine Problematik verschärfen oder sogar verursachen. In manchen Fällen liegt das eigentliche Problem nicht (vornehmlich) in der Person einer Führungskraft, sondern in der Strategie und Struktur des Unternehmens. Dann sollte der Arbeitgeber sich auf die notwendige Restrukturierung konzentrieren. Daraus können sich natürlich auch in der Folge personelle Neupositionierungen für einzelne Führungskräfte und ggf. auch betriebsbedingte Kündigungen ergeben.

Bei der strategisch-strukturellen Differentialdiagnose sollten Sie u.a. folgende 2 Fragestellungen bearbeiten:

  • Sind Geschäftsfelder, Angebote, Leistungsschwerpunkte und Betriebseinheiten existentiell gefährdet, nicht mehr bedarfsgerecht und nicht mehr zukunftsfähig? Folgt hieraus die unternehmerische Entscheidung, den Bereich bzw. diese Geschäftstätigkeit abzubauen, einzustellen oder zu schließen?

  • Besteht für einzelne Positionen, Funktionen und Aufgabenfelder im Führungsbereich gegenwärtig oder zukünftig keine ausreichende Legitimation mit Blick auf die Geschäftsstrategie, den Nutzen, die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit? Kann ggf. nach Restrukturierung auf die Position verzichtet werden? Wie sieht das zukünftige Führungs- und Organisationsmodell aus? Welche unternehmerischen Vorteile ergeben sich daraus?

Immer wieder stellen wir im Einzelfall fest, dass Führungskräfte, die in der Unternehmensstruktur im wahrsten Sinne des Wortes auf "verlorenem Posten" arbeiten, zum Problem werden, obwohl es sich eher um ein Strategie- und Strukturproblem handelt. Die richtige Konsequenz liegt dann darin - sofern erforderlich - eine betriebsbedingte Kündigung statt einer verhaltensbedingten Kündigung auszusprechen.




BETRIEBSBEDINGTE KÜNDIGUNG AUF DER GRUNDLAGE EINER UNTERNEHMERENTSCHEIDUNG

Wird die Weiterbeschäftigung einer Führungskraft durch eine Neuorganisation entbehrlich, dann kann nach § 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Ursachen für Unternehmerentscheidungen, die zu einer betriebsbedingten Kündigung führen, können z.B. folgende sein:

  • Marktentwicklungen: abnehmender Bedarf bzw. rückläufige Nachfrage bezogen auf Angebote, Produkte und Leistungen, technologische Entwicklungen oder Verschiebungen im Markt (z.B. neue Mitbewerber, Wegfall von Kooperationspartnern etc.)

  • Wirtschaftliche Entwicklungen: geringere Umsätze, höhere Investitions- oder Betriebskosten (Sach- und Personalkosten), reduzierte Preise/ Entgelte, Wegfall von Zuwendungen, Liquiditätsengpässe etc.

  • Organisatorische Entwicklungen: Rationalisierung von Strukturen und Prozessen, interne Verlagerung von betrieblichen Aufgaben, Funktionen und Positionen, Reduzierung von Hierarchieebenen (Lean Management) etc.

Eine "unternehmerische Freiheit" besteht insofern, als die Rechtsprechung die unternehmerische Entscheidung nur sehr eingeschränkt überprüft. Die sachliche Rechtfertigung oder die Zweckmäßigkeit der getroffenen unternehmerischen Entscheidung dürfen die Arbeitsgerichte grundsätzlich nicht hinterfragen.

Allerdings kontrollieren Arbeitsgerichte, ob die Maßnahmen offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (BAG, NZA 2016, S. 33; BAG, NZA 2013, S. 730; BAG, NZA 2011, S. 1248). Deshalb sollten Sie zunächst unbedingt in der o.g. personenbezogenen und strategisch-strukturellen Differentialdiagnose klären, welche individuellen Ursachen bzw. welche strukturellen Ursachen bestehen und welche Gründe letztendlich ausschlaggebend sind. Besondere Anforderungen an die Darlegung der unternehmerischen Entscheidung bestehen nach der Rechtsprechung aber im Fall einer sogenannten Leistungsverdichtung oder des Abbaus einer Hierarchieebene, d. h. wenn sich die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung nicht voneinander trennen lassen (BAG, NZA 2012, S. 1223; BAG, NZA 2012, S. 852; BAG, NZA 2008, S. 819; BAG, NZA 2008, S. 523).



KONSEQUENTE FÜHRUNG IM VORFELD EINER VERHALTENSBEDINGTEN KÜNDIGUNG

Im Vorfeld einer drohenden verhaltensbedingten Kündigung sollten sie soweit möglich eine "verfahrenssichere" Vorgehensweise im Führungsprozess umgesetzt haben oder noch umsetzen. In diesem Prozess erhält die Führungskraft eine faire Chance, an den Gründen für verhaltensbedingte Defizite zu arbeiten und eine drohende Kündigung abzuwenden. Hierzu haben wir in unserem LEADERSHIP PERFORMANCE NAVIGATOR das Stufenkonzept der Weisungs-, Kritik- und Mahnstufen entwickelt:

Abb. 3 Weisungs-, Kritik- und Mahnstufen (Thomas Röhrßen/ Dietmar Stephan; Titel. Leadership Performance Krankenhaus. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2021. S. 153)

Die einzelnen Stufen werden in unserem Buch detailliert beschrieben.




MIT DIENSTANWEISUNGEN TRANSPARENZ UND VERFAHRENSSICHERHEIT HERSTELLEN

In vielen Fällen stellen wir fest, dass Führungskräfte keine klare Vorstellung von den Anforderungen an ihre Position und Person haben. Und sie sehen häufig auch nicht ihre Verantwortung bzw. ihren Anteil an den bestehenden Problemen. Hier ist der Arbeitgeber gefordert, den Zusammenhang nachzuweisen. Die betroffene Führungskraft bzw. der Arbeitnehmer hat natürlich einen Anspruch darauf, dass hier nicht nur einfach allgemeine Bewertungen und Beurteilungen im Raum stehen, sondern dass diese auch konkret situativ im Führungsverhalten belegt werden können.


In manchen Fällen empfiehlt es sich, eine individuelle Dienstanweisung an die Führungskraft zu formulieren, in der nicht nur die konkreten Defizite und Anforderungen beschrieben werden, sondern diese in Form von konkreten Aufträgen, Aufgaben, Vorschriften und Regelungen zur Erfüllung der Dienstpflichten übersetzt werden. Dabei sollten insbesondere zentrale und nicht delegationsfähige Führungsaufgaben mit konkreten Arbeitsaufträgen verbunden werden (Wer? Was? Mit wem? Bis wann?). Die Dienstanweisung sollte darauf ausgerichtet sein, die Defizite zu beheben und der Führungskraft die Möglichkeit geben, gezielte Änderungen selbständig herbeizuführen.


DIE 3 PHASEN DES PROFESSIONELLEN OUTPLACEMENTPROZESSES

Deutet sich eine Trennung an, dann unterscheiden wir 3 Phasen im professionellen Outplacement:

1. Vorbereitungsphase (Analyse und Planung)

2. Konfrontations- und Trennungsphase (Outplacement)

3. Neupositionierungsphase (Newplacement mit Bewerbungscoaching). Als Outplacementberater begleiten wir häufig die Vorbereitungs- und Trennungsphase. Wenn wir selbst nicht die Vorbereitungs- und Trennungsphase begleitet haben, der Arbeitgeber der Führungskraft aber ein Budget für die externe Neupositionierung zur Verfügung stellt (z.B. in Verbindung mit der Abfindungsregelung im Aufhebungsvertrag), beraten wir auch im Auftrag einer betroffenen Führungskraft in der Neupositionierungsphase (Newplacement).


"1. Vorbereitungsphase (Planung)

Situationsanalyse und Differentialdiagnostik

  • Analyse der aktuellen Situation sowie der Historie einschließlich der eingeleiteten Maßnahmen und des Verlaufs ('Epikrise') unter besonderer Berücksichtigung der kritischen Einstellungs-, Verhaltens- und/oder Leistungsdefizite sowie des internen und externen Unternehmensumfeldes (Kontextanalyse)

  • Sichtung und Bewertung der relevanten Daten und einschlägigen Dokumente (Protokolle, Kennzahlen etc.)

  • Differentialdiagnostik zur Änderungsmöglichkeit und -wahrscheinlichkeit einschl. Prognose auf der Basis des 'Circle of Change' (Problemeinsicht, Ursachenanalyse, Änderungsmotivation, Änderungspotenzial- und Kompetenzen, Umfeld-Akzeptanz)

Durchführung von Schlüsselprojekten (nach Bedarf)

  • Ggf. Planung von geeigneten Projekten zur vertiefenden Klärung von Defiziten bzw. zur Erbringung entsprechender Nachweise für Defizite (z.B. Strategie- und Leistungsanalysen, Struktur- und Prozessanalysen, Mitarbeiterinterviews, Führungs- und Teamanalyse, 360°-Führungsfeedback, Führungsberatung etc.)

Juristische Bewertung

  • Arbeitsrechtliche Bewertung insbesondere unter Berücksichtigung arbeitsvertraglicher und tarifvertraglicher Rahmenbedingungen

  • Einhaltung der relevanten mitbestimmungsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen

Kommunikationskonzept

  • Erarbeitung eines Kommunikationskonzepts für den Dialog mit dem Betroffenen (klare Strategie, eindeutige Argumentation, Erläuterung des geplanten Vorgehens und der möglichen Konsequenzen, Vereinbarung von Sprachregelungen, etc.)

  • Entwicklung von Informations- und Kommunikationsstrategien bezogen auf interne und externe Zielgruppen (andere Führungskräfte, Mitarbeiter, externe Kooperationspartner, Presse und Öffentlichkeit)

Ziel- und Maßnahmenplanung

  • Festlegung der Zielsetzung und Grundstrategie (einvernehmliche Trennung, Änderungskündigung oder Beendigungskündigung etc.)

  • Bewertung der Möglichkeiten, Chancen und Risiken für das Unternehmen

  • Planung der Meilensteine und Maßnahmen innerhalb von Wenn-Dann-Szenarien (Voranalyse, Schlüsselprojekte, disziplinarrechtliche Maßnahmen, Kritik- und Konfrontationsgespräche, Kündigung, flankierende Maßnahmen im Unternehmen, Gespräche zur einvernehmlichen Vertragsauflösung etc.)

  • Entscheidung in Abstimmung mit den relevanten Organen und Entscheidungsträgern

(...)

2. Trennungsphase (Outplacement)

Feedback und Konfrontation

  • Strukturiertes Feedback bezogen auf die Einstellungs-, Verhaltens- und/oder Leistungsdefizite

  • Vorstellung des weiteren Vorgehens/Ankündigung von Konsequenzen und Maßnahmen

Begleitung bei der Verarbeitung

  • Unterstützung bei der Einordnung und Verarbeitung der möglichen Trennung einschl. historischer Aufarbeitung

  • Bearbeitung von kritischen emotionalen Einstellungsmustern (z.B. narzisstische Kränkung, Verdrängung, Verleugnung, Bagatellisieren, Selbstwertlabilität, Depressivität, psychosomatische Beschwerden, Dekompensation, Katastrophisieren, einseitige Schuldzuweisungen, Fatalismus, Existenz- und Zukunftsängste, Opfer- und Verschwörungsszenarien, diffuse Agitation, Persönlichkeits- und Identitätskrise, etc.)

Umsetzung geplanter Maßnahmen

  • Schriftliche Dienstanweisungen zur Konkretisierung von Dienstpflichten, betrieblichen Vorgaben, Positionsanforderungen und –aufgaben, qualitätsrelevanten Standards, Strukturen und Prozessen etc.

  • Aufforderung zur Einhaltung von Dienstpflichten bzw. Einforderung der Umsetzung des Soll-Verhaltens bzw. der erforderlichen Aufgaben und Leistungen über disziplinarrechtliche Maßnahmen (Ermahnung, Abmahnung)

  • Umsetzung von strategischen, strukturellen, organisatorischen und personellen Maßnahmen zur Kompensation der Defizite und zur notwendigen Veränderung im Umfeld

  • ggf. ordentliche oder außerordentliche Kündigung/Begleitung möglicher arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzungen

Verhandlung und Vereinbarung

  • Vereinbarung von Sprach- und Vertraulichkeitsregelungen im internen und externen Dialog

  • Verhandlung über Konditionen einer möglichen einvernehmlichen Trennung einschl. Aufhebungsvertrag

(...)


3. Neupositionierungsphase (Newplacement)

Aufarbeitung

  • Reflexion des Trennungsgeschehens und Interpretation der Trennungshistorie (Latenzzeit, Konfrontation und Reaktion, Krisenbewältigung, etc.)

  • Formulierung einer nachvollziehbaren und prägnanten Trennungsstory

  • Persönliches Selbst- und Krisenmanagement (Bearbeitung von dysfunktionalen Einstellungen bezogen auf die persönliche und berufliche Lebens- und Karriereplanung)

Profilanalyse

  • Kompetenzprofilanalyse (Stärken/Schwächen, Potenzialanalyse, Erfahrungshintergrund, Entwicklungsbedarf etc.)

  • Motivstrukturanalyse (Biographische Analyse, Berufliche Identität und Übergänge, Motivations-, Interessen- und Werteprofil, persönliche Ziel- und Lebensplanung, Wechselmotivation, Work-Life-Balance etc.)

  • Personal Branding (Persönliches Markenprofil, Leitsätze und Kernaussagen zur Positionierung)

Marktaktivitäten

  • Marktanalyse/Stellen- und Positionsbewertung (Marktrecherche mit Realitätscheck/ Eignungsanalyse etc.)

  • Erstellung der Bewerbungsdokumente (Bewerbungskonzept auf der Grundlage der Profilanalyse)

  • Entwicklung von Suchtechniken und Netzwerkstrategien (Branchen, Unternehmen, Personalberater, persönliche Mittler und Netzwerke, Internetportale, Social Media etc.)

  • Umsetzung einer Bewerbungskampagne (Networking und Beziehungsmanagement, Initiativbewerbung, Stellenbewerbung etc.)

Bewerbung und Einstellung

  • Kontaktaufnahme und Selbstrepräsentation (Kontakt- und Kommunikationsstrategien gegenüber Mittlern und Unternehmen, Bewerbungscoaching, etc.)

  • Beratung bezogen auf Vertragsverhandlung und Entscheidungsprozess

  • Integrations-Coaching in Probezeit ('On-Boarding-Coaching') "

(Thomas Röhrßen. Fordern, Fördern oder Outplacement? in: Düllings/ Weiser/ Westerfellhaus. Fokus Führung. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2016. S. 110 ff. )


PSYCHOLOGISCHE VERARBEITUNG IM TRENNUNGSPROZESS

Psychologische Aspekte im Outplacementprozess spielen eine entscheidende Rolle, werden allerdings von den meisten Führungskräften und Unternehmen völlig unterschätzt. Eine drohende, "schwebende" oder vollzogene Trennung kann zu erheblichem Stress auf beiden Seiten führen. Der Entscheidungsprozess und die Vorbereitungsphase ist für viele Arbeitgeber besonders bezogen auf bedeutsame Führungspositionen und Schlüsselpersonen im Unternehmen auch eine psychologische und unternehmerische Herausforderung. In unseren Outplacementberatungen begleiten wir häufig Vorstände, Geschäftsführungen und Führungskräfte der 2. Ebene, die sich erst noch Gewissheit verschaffen wollen und Bewertungsmaßstäbe für die Entscheidung suchen, die Vorgehensweisen prüfen und Szenarien durchspielen wollen, die unternehmerische Risiken abwägen und auch für die Konsequenzen haften müssen. Dies erfordert ein systematisches und entschlossenes Vorgehen mit hoher Sorgfaltspflicht.


In der Konfrontations- und Trennungsphase sind die Betroffenen in der Regel dann plötzlich einem hohem emotionalen Stress ausgesetzt. Die drohende Trennung stellt sich dann häufig auch als kritisches Lebensereignis dar. Wir können ein vertieftes Verständnis für die emotionale Dynamik im Trennungsprozess entwickeln, wenn wir die Ergebnisse der psychologischen Trauerforschung berücksichtigen. Danach reagieren Menschen auf die Mitteilung eines "schweren Befunds" nach einem allgemeinen psychologischen Verarbeitungsmuster, das allerdings je nach Persönlichkeitsstruktur, Resilienz und Selbstregulationsfähigkeit individuell gewisse Variationen aufzeigt (siehe nachfolgende Abbildung)


Abb. 4 Selbstwertregulation und Trennungsprozess (Thomas Röhrßen. Fordern, Fördern oder Outplacement?. in: Düllings/ Weiser/ Westerfellhaus. Fokus Führung. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2016. S. 115 )

In der sogenannten Latenzphase besteht vielleicht schon eine gewisse Vorahnung oder Sorge bei den Betroffenen.


Die Konfrontations- und Verarbeitungsphase beginnt mit der ersten Ankündigung zur drohenden, geplanten oder eingeleiteten Trennung. Dieser "kritische Befund" wird häufig nicht adäquat verstanden und verarbeitet, weil der/die Betroffene mit Schock reagiert. Der Arbeitgeber muss in dieser Phase im Einzelfall durchaus wiederholt über seine Sichtweise, Entscheidung und Vorgehensweise aufklären, um Klarheit zu schaffen., Dies kann dann plötzlich erhebliche Widerstandskräfte beim Betroffenen mobilisieren (Abwehr und Verneinung, Ärger und Wut, Rückzug). In dieser Phase reagieren viele Betroffenen mit Protektionsmechanismen, die ihren vulnerablen Zustand "überdecken" und den Arbeitgeber durchaus irritieren können. Der Arbeitgeber sollte auch hier Verständnis für den Protektionsmodus der Betroffenen entwickeln und dies berücksichtigen, auch wenn dies keinen Anlass bietet, die Entscheidung und die Grundstrategie zu verändern.

Häufig tritt dann erst nach einer gewissen Zeit mentale Einsicht ein, die mit Frustration verbunden ist, weil das Unausweichliche sich offenbart. In vielen Fällen beginnt dann im weiteren Verlauf erst eine echte Verarbeitung der Trennung mit emotionaler Akzeptanz und Trauer. In manchen Fällen besteht zwar irgendwann eine mentale Einsicht in die Unausweichlichkeit der Trennung, die dann z.B. zu einer einvernehmlichen Vertragsauflösung führt, obwohl andererseits die emotionale Verarbeitung noch nicht stattgefunden hat. Dann erfolgt die emotionale Verarbeitung erst nachgelagert nach der vollzogenen Trennung oder im ungünstigeren Fall gar nicht mehr.

In der Neuorientierungsphase schließt der/ die Betroffene mit dem Trennungskapitel ab und konzentriert sich auf die berufliche Zukunft. Der Vulnerabilitäts- und Protektionsmodus geht in den Ressourcenmodus über. Im Ressourcenmodus kann der/die Betroffene wieder ohne emotionale, motivationale und mentale Einschränkungen und Hindernisse, die im Trennungsgeschehen begründet waren, umfassend auf eigene Fähigkeiten und Ressourcen zurückzugreifen. Dann kommt es darauf an, dass die richtigen Schlüsse aus der Trennung gezogen werden und dass aus einer realistischen Einschätzung des eigenen Kompetenzprofils und des Marktgeschehens ein stimmiges Matching und Networking sowie Bewerben und Einbringen in geeignete Positionen, Unternehmen, Branchen und Regionen vorbereitet wird.




DAS MOTIVATIONALE GRUNDPROBLEM - VERÄNDERUNGSANGST UND LAGEORIENTIERUNG

 

Einige unserer Kunden/ Mandanten unterschätzen vollkommen, in welcher motivationalen Lage sich die Betroffenen befinden.


Unsere Kunden/ Mandanten gehen selbst häufig einen Entwicklungsweg durch mehrere Phasen hindurch, während die Betroffenen das Problem weiter aufrechterhalten:


PHASE 1: Wenn erste Defizite erkennbar sind, geben sie Feedback, formulieren ihre Erwartungen und hoffen natürlich auf eine Veränderung. Dies geschieht in unterschiedlichen Gesprächsformaten.


PHASE 2: Wenn die Defizite zunehmen und die kritischen Hinweise aus dem Umfeld sich verstärken, häufen sich die Gespräche. In dieser Phase werden die Gespräche ergänzt durch Protokolle und Schriftverkehr, in denen die Ziele und Anforderungen klarer herausgearbeitet und die Gesprächsergebnisse gesichert werden.


PHASE 3: An einem Punkt der Entwicklung treten dann ernsthafte Probleme und Risiken für das Unternehmen auf (z.B. kritische Fluktuation, eskalierende Konflikte, Beschwerden, Imageschäden etc.). Man trifft nun die Entscheidung zur grundsätzlichen Konfrontation des Betroffenen und trifft entsprechende Vorbereitungen.


PHASE 4: In der Konfrontationsphase wird verdeutlicht, dass die Defizite nicht mehr geduldet werden können. Es werden häufig schon mögliche Konsequenzen angesprochen. In dieser Phase wundert man sich dann häufig über die „mangelnde Problemeinsicht“, die „Beharrlichkeit“, den „Widerstand“ und die „Suche nach den Schuldigen“ bei den Betroffenen.


Dieses beharrliche Protektionsverhalten ist allerdings meistens schlüssig aus der Problemhistorie ("Epikrise") und dem Persönlichkeitsprofil zu erklären. In jedem Fall spielen die elementaren Bedürfnisse der Betroffenen nach Schutz, Sicherheit und Selbstwertstabilisierung psychologisch eine große Rolle. Wenn man konsequent aus der Perspektive der Betroffenen denkt, dann versteht man das, was in der Motivationspsychologie als "Lageorientierung" beschrieben wird: „Meine Lage ist vielleicht nicht komfortabel, aber eine grundsätzliche Veränderung in meiner Position ist mindestens ein Risiko, wenn nicht sogar eine existentielle Bedrohung. Warum sollte ich mich hier einfach so überreden lassen, meine derzeitige Lage zu verändern? Dazu sehe ich keinen Anlass“.


In einer lageorientierten Grundhaltung neigen Menschen dazu, die gegenwärtige Situation – möge sie auch noch so unbefriedigend sein – im Vergleich zu einem beunruhigenden Veränderungsszenario immer noch als sicherer und komfortabler einzuschätzen. Und sie tun dann alles dafür, die Lage zu halten.



Unser Grundsatz „Erst Handeln, dann Verhandeln“ sollte deshalb aus zwei Gründen handlungsbestimmend für das Management sein:

 

1. Führung aus Verantwortung


Sofern Sie erhebliche Defizite bei einer Führungskraft feststellen, stehen Sie sofort in der Verantwortung und ggf. sogar in der unternehmerischen Haftung. Sie sind aufgefordert, die kritische Abweichung nachhaltig zu korrigieren, um die Qualität, das Image oder die Leistungsfähigkeit zu sichern sowie Probleme, Risiken oder Schäden vom Unternehmen abzuwenden. Aus Ihrer Beurteilung ergibt sich auch eine zeitnahe Nachweispflicht (auch gegenüber der betroffenen Führungskraft). Diese sollten Sie erfüllen.



2. Veränderung der Lage - Ende der Lageorientierung


Wenn Sie aus Ihrer Verantwortung heraus mit notwendigen und konsequenten Führungsmaßnahmen auf die kritischen Defizite und Abweichungen reagieren („Klares Entscheiden und Handeln statt wiederholtes Sprechen und Appellieren“), verändern Sie die Lage und es kommt für den Betroffenen zu einer wesentlichen Neuerfahrung. Wenn Sie auf die Defizite mit dezidierten Dienstanweisungen, präzisen Aufträgen, Fristvorgaben und/oder mit entsprechenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen reagieren und/oder strukturelle Veränderungen vornehmen, um die Risiken oder Mängel einzuschränken, verändern Sie faktisch und motivational plötzlich die Lage für den Betroffenen. Dann steigt die Bereitschaft, eine Veränderung auch gegen inneren Widerstand endlich„in Kauf zu nehmen“ und eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden.

 

Bedenken Sie dabei immer: Wenn Sie erst mit Gesprächen zur Konfrontation einsteigen und dann erst bei vermeintlich „fehlender Vernunft und Einsicht“ mit Konsequenzen reagieren, erzeugen Sie immer (vermutlich auch zurecht) den Eindruck, genau diese Einstellung moralisch abzulehnen und negativ sanktionieren zu wollen. Mentale Einsicht und förderliche Grundhaltungen können Sie nicht einfordern oder erzwingen!


Wenn Sie aber zunächst erst "neutral" mit konsequentem Führungsverhalten angemessen auf die Defizite reagieren, handeln Sie aus der Verantwortung dem Unternehmen gegenüber – unabhängig davon, wie der Betroffene diese Führungsintervention interpretiert und darauf reagiert.


Wenn Sie über eine längere Zeit in vorauseilender Hoffnung immer „mehr derselben“ Gespräche durchgeführt haben, wird die betroffene Führungskraft sicher erst einmal lernen müssen, dass Ihr konsequentes Führungsverhalten in erster Linie aus Ihrer Verantwortung heraus begründet ist und nicht aus einem Bestrafungsmotiv. Sie können erklären, dass Sie sich auf die klar definierten Leistungs- und Verhaltensdefizite konzentrieren, aber sich nicht gegen die Person als Ganze richten, mit der Sie gern in Verhandlung über eine einvernehmliche personelle Neupositionierung oder Trennung treten möchten, um weiteren Schaden für das Unternehmen und alle Beteiligten abzuwenden.

 




Fazit:

Viele Arbeitgeber sehen Trennung und Outplacement immer noch zu einseitig nur unter dem Gesichtspunkt von Konfrontation und arbeitsrechtlicher Auseinandersetzung. Sie vernachlässigen die Komplexität der strategischen, strukturellen, psychologischen und methodischen Aspekte in ihrer Entscheidung und in der Vorgehensweise. Wenn sie eine "never ending story" oder einen erheblichen Unternehmensschaden in dieser kritischen Situation vermeiden wollen, sollten sie sich gut vorbereiten, verschiedene Wenn-Dann-Szenarien durchspielen sowie innerhalb ihrer Strategie gut abgeklärt sein und entschlossen handeln.




Dr. Reinhard Wagner ist seit über 15 Jahren als Rechtsanwalt in München niedergelassen. Er ist Partner der Kanzlei Seufert Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Arbeitsrecht, privates Wirtschaftsrecht und Mergers & Acqusitions. Dr. Reinhard Wagner hat in Kooperation mit der roehrssen consult GmbH in den letzten 15 Jahren in arbeitsrechtlichen Fragestellungen beraten sowie Trennungs- und Outplacementprozesse in Unternehmen begleitet.







Thomas Röhrßen ist Dipl.- Psychologe, Coach, Leadership-Experte und Unternehmensberater. Er führt seit 1987 Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personal- und Kulturentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in Unternehmen durch. Als Leadership Experte hat er ein psychologisch-fundiertes Führungskonzept entwickelt (vgl. Leadership Performance Krankenhaus. Berlin 2021). Seit 30 Jahren berät er Vorstände und Geschäftsführungen in der Begleitung von Trennungs- und Outplacementprozessen bei Führungskräften.

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