Ein Beitrag von Thomas Röhrßen und Prof. Dr. Thomas Fleischmann
Im Jahr 2018 lag in der Einführung des 3-Stufenmodels der Notfallversorgung der Beginn eines umfassenden Umbaus der Notfallversorgung in deutschen Krankenhäusern. Das G-BA Stufenkonzept der Notfallversorgung setzt neue Anforderungen, die noch lange nicht überall flächendeckend umgesetzt sind. Mit den Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes wird es jetzt sehr ernst für einzelne Klinikstandorte. Es gibt klare Warnhinweise: die hohe Quote von Krankenhäusern, die die Prüfungsanforderungen des Medizinischen Dienstes im Jahr 2021 nicht vollständig erfüllt haben, liegt bei deutlich mehr als einem Drittel.
DER STAND DER PRÜFUNGEN
Aktuell erhöht sich das Tempo der Veränderung in der Notfallversorgung der Krankenhäuser enorm. Grund für die aktuelle Geschwindigkeitserhöhung im Wandel ist, dass inzwischen nicht nur klare Mindestvoraussetzungen für die einzelnen Versorgungsstufen (Basis-, Erweiterte und Umfassende Notfallversorgung) definiert sind, sondern diese nun systematisch durch den Medizinischen Dienst (MD) geprüft und hinterfragt werden. Die vorgesehenen Prüfungen durch den MDK sollten ab 2020 erfolgen, fanden aber wegen der COVID 19-Pandemie erst ab 2021 statt. Die Prüfungen des Jahres 2022 wurden wegen COVID 19 fast vollständig ausgesetzt.
Die Ziehung der nächsten 20 % der Krankenhäuser/Notaufnahmen erfolgt zum 1. März 2023. In einem 5-Jahres-Zeitraum soll jährlich eine Stichprobe von 20 % aller Notaufnahmen vom MD auf die Einhaltung der Voraussetzungen der Notfallstufen geprüft werden.
DAS ERSTE ERGEBNIS FÜR 2021 ENTHÄLT KLARE WARNHINWEISE!
Deutlich mehr als ein Drittel der geprüften Notaufnahmen/Krankenhäuser haben die Strukturprüfung in der Notfallversorgung nicht bestanden, weil sie die Prüfanforderungen nicht vollständig erfüllt haben. Probleme traten insbesondere bei den Klinikstandorten der Basisnotfallversorgung und der erweiterten Notfallversorgung auf:
"Den zahlenmäßig größten Anteil der Prüfungen machten die 264 Kontrollen der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V aus. Bei 59,5% waren die Anforderungen vollständig, bei 37,1% nicht vollständig erfüllt, bei den übrigen die Beurteilung nicht möglich (3,4%). Der Erfüllungsgrad in der Basisnotfallversorgung (Stufe 1, 119 Kontrollen) war 52,9%, in der erweiterten Notfallversorgung (Stufe 2, 41 Kontrollen) 46,3% und im Modul „Notfallversorgung Kinder“ (45 Kontrollen) 62,2%. In der umfassenden Notfallversorgung (Stufe 3, 31 Kontrollen) betrug der Erfüllungsgrad 80,6%, im Modul „Spezialversorgung“ (13 Kontrollen) 92,3%, im Modul „Schlaganfallversorgung“ (8 Kontrollen) 100%. "
Die häufigsten Gründe für kritische Abweichungen und das Nicht-Bestehen der Prüfung waren die Nichteinhaltung der Vorgaben zur Ärztlichen Leitung der Notaufnahme, die Nichteinhaltung der 10 Minuten Frist für eine Erstbeurteilung (Triage), die Nichteinhaltung der 30 Minuten Eintreffzeit der Fachärzt*innen der Fachgebiete usw.
Für das Bestehen der Prüfung fehlten vor allem auch klare klinische Struktur- und Organisationskonzepte, welche die Erfüllung der Prozesszeiten auch unter widrigen Rahmenbedingungen ermöglichen. Die Vorbereitung auf die Prüfungen ist aufwändig und zeitraubend; sie erfordert zudem hohe Sachkenntnis. Dies erhöht den existentiellen Druck für die Kliniken.
DIE PRÜFUNGSPRAXIS AB 2023
In Zukunft könnte das Bestehen der Prüfung des Medizinischen Dienstes noch schwieriger werden, weil die der Prüfung zugrundeliegenden Unterlagen, insbesondere der MD-Begutachtungsleitfaden, von Version zu Version immer wieder verschärft wurden.
Der vom MD willkürlich festgelegte Prüfzeitraum kann bis zu zwei Jahren vor dem Prüfdatum liegen! Dies wird von vielen Krankenhäusern unterschätzt: Es genügt auf keinen Fall sich zum Zeitpunkt der Ziehung auf die Prüfung vorzubereiten. Dies ist schon deswegen nicht ausreichend, weil die Vorbereitung auf die Prüfung je nach Krankenhaus bereits mehrere bis viele Wochen dauert und der Termin der Prüfung durch den Medizinischen Dienst aber schon vor Abschluss dieser Vorbereitungszeit festgesetzt werden kann. Noch wichtiger ist, dass der Medizinische Dienst die Freiheit hat, jeden willkürlich ausgewählten Zeitraum bis zwei Jahre vor Einleitung der Prüfung auszuwählen, und dies nach den bisher gemachten Erfahrungen auch tut.
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Am 01.03.2023 werden die nächsten 20 % der Krankenhäuser zur Prüfung gezogen. Auf Grund der Abstimmungen zwischen dem ziehenden Institut, den Kostenträgern und dem Medizinischen Dienst, werden die gezogenen Krankenhäuser erst etwa Anfang April 2023 informiert, zugleich wird der Prüfzeitpunkt festgelegt, meist ein ganzer Tag, seltener zwei Tage. Der Prüfzeitraum, den der Medizinische Dienst bestimmt, kann dann irgendwann zwischen etwa 01.04.2021 und 31.03.2023 liegen. In unserem Beispiel wird Krankenhaus A. am 01.03.2023 gezogen und am 03.04.2023 darüber informiert. Als Prüfzeitpunkt setzt der Medizinische Dienst in unserem Beispiel den 02.05.2023 an und legt als Prüfzeitraum die Monate vom 01.04. bis 30.06.2021 fest.
Nun hat Krankenhaus A. zwei große Probleme:
Problem Nr. 1: Die wenigen Wochen zwischen der Mitteilung der Prüfung (hier: 03.04.2023) und dem Tag der Prüfung (hier: 02.05.2023), ist natürlich wesentlich zu kurz, um sich auf die Prüfung angemessen vorzubereiten.
Problem Nr. 2: Das Krankenhaus muss dem Medizinischen Dienst glaubhaft machen, dass alle Vorschriften, die am Prüfungstag (hier: 02.05.2023) geprüft werden, bereits zwei Jahre vorher schon (hier: 01.04.2021) erfüllt waren. Erfolgte die Vorbereitung auf die Prüfung erst kurz vor dem Prüfungstermin (hier: April 2023), so kann dies schwierig werden.
Die hohe Quote von Krankenhäusern, die die Prüfung der Notfallstufen im Jahr 2021 nicht bestanden haben, deutlich mehr als ein Drittel, zeugt von diesen Schwierigkeiten. Auf Nachsicht des Medizinischen Dienstes ist dabei nicht zu hoffen, denn dieser verweist stets darauf, dass alle Vorgaben bereits seit dem 19.05.2018 gelten, einen Tag nach dem das G-BA-Stufensystem im Bundesanzeiger veröffentlicht worden ist. Leider zeigen die Erfahrungen, dass nicht alle Krankenhäuser, die eine Notfallstufe beantragt und damit den Notfallvergütungszuschlag erhalten haben, auch tatsächlich daran gegangen sind, alle Vorgaben des G-BA-Stufensystems auch vollständig zu erfüllen.
Die Folgen des Nicht-Bestehens der Prüfung der Notfallstufen können von milden Mitteln, wie Vorgaben zur Erfüllung bestimmter Kriterien und Nachprüfung, bis hin zu schärferen Mitteln wie finanziellen Schäden reichen, z.B. durch die Rückforderung des Notfallvergütungszuschlages. In jedem Fall wird die Verhandlungsposition des Krankenhauses in den nächsten Budgetverhandlungen schwieriger, wenn die Prüfung der Notfallstufen nicht bestanden wurde. Nicht-materielle Schäden, wie zum Beispiel der Imageverlust für das Krankenhaus oder andere Folgen, sind hier noch nicht berücksichtigt.
Jüngst hat die Krankenhauskommission des Bundesministeriums für Gesundheit, die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung angekündigt, in Kürze eine Stellungnahme zur Vergütungsproblematik der Notfallversorgung vorlegen zu wollen. Sollten diese Vorschläge zu einer Verbesserung der Finanzierung der Notfallversorgung in den Notaufnahmen führen, so braucht es wenig Fantasie sich vorzustellen, dass die Krankenhäuser, die die Prüfung ihrer Notfallstufen bestehen, davon mehr profitieren könnten als die, die die Prüfung durch den Medizinischen Dienst nicht bestehen.
Was tun?
Was können Krankenhäusern nun tun, um die Prüfung ihrer Notfallstufe durch den Medizinischen Dienst zu bestehen? Die Antwort ist dreistufig:
1. Prüfung jetzt vorbereiten. Die Vorbereitungen sollten nicht erst beginnen, wenn gezogen wurde, sondern sofort. Dann läuft die Frist zugunsten der Krankenhäuser und nicht gegen sie.
2. Expertenrat einholen Die Prüfung durch den Medizinischen Dienst ist aufwändig, detailreich und komplexer als manche dies erwartet haben. Die Kenntnis des G-BA-Stufensystems reicht dabei nicht aus und die eigene Interpretation einiger Punkte hat manche Krankenhäuser in die Irre geführt. Wichtig sind z.B. auch eingehende Kenntnisse der MD-Qualitätsrichtlinien und der MD-Begutachtungsleitfaden und sehr wichtig ist es die Interpretationen der Medizinischen Dienste zu kennen, denn diese Beurteilungen sind maßgeblich für das Bestehen. All dies erfordert spezialisierte Expertise.
3. Erfahrungsaustausch suchen Es zeigte sich, dass die Erfahrung der Medizinischen Dienste mit dieser Prüfung zunimmt und dass dies nachfolgende Prüfungen beeinflusst. Weiterhin ändert sich der Begutachtungsleitfaden des Medizinischen Dienstes in gewissen Abständen. Zugleich ist es von großer Bedeutung, die Erfahrungen der Krankenhäuser zu kennen, die die Prüfung bereits erlebt haben. Benchmarks mit dem Fokus auf Best-Practice-Ansätze in der Notfallversorgung sind zunehmend gefragt.
Der EMQ – EMERGENCY-QUICK-CHECK der roehrssen consult GmbH Auf der Grundlage des MD-Prüfungskonzepts zum Notfallstufenmodell und unseres ZONING-Konzepts (https://www.roehrssen-consult.de/post/das-zoning-konzept-der-zentralen-notaufnahme-fachlich-logisch-und-logistisch-effizient) wir unseren EMERGENCY-QUICK-CHECK für Zentrale Notaufnahmen entwickelt.
Nur an einem Tag vor Ort (in kleinen Kliniken mit 1 Berater/ in mittleren und großen Kliniken mit 2 Beratern) - ergänzt durch wenige zusätzliche Analyseschritte – prüfen wir die ZNA auf ihre Zukunftsfähigkeit unter den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen, den Umfeldbedingungen im Gesundheitsmarkt sowie den internen Schnittstellen zu den Kliniken. Über eine hochfokussierte und multimodale Analyse (Ortsbegehung mit Struktur- und Prozessanalyse, moderiertes Fachgespräch, Interviews) und einen Kurzbericht schaffen wir eine Grundlage für die systematische Weiterentwicklung der klinischen Organisation Ihrer ZNA.
Unser EMERGENCY-QUICK-CHECK konzentriert sich auf folgende Dimensionen:
Allgemeine Anforderungen aus dem Notfallstufenmodell auf der Grundlage der jeweils aktuellen Begutachtungskriterien sowie der aus der Praxis gesammelten und gebündelten Prüferfahrungen
ZNA-Führungssystem und Personalstruktur
ZONING-Analyse: Funktionskonzept und räumliche Infrastruktur
Prozessanalyse patientennah: wie z.B. Triagierung – Ärztl. First View – Untersuchung, Intervention und Behandlung – Beobachtung – ärztliche und pflegerische Aufnahmetätigkeit etc.
Prozessanalyse Sekundär- und Steuerungsprozesse: Administration, IT und Dokumentation, interdisziplinäres Clearing, Aufnahme- und Belegungssteuerung, Besprechungen.
Thomas Röhrßen ist Dipl.-Psychologe, Coach, Leadership-Experte und Unternehmensberater. Er führt seit 1987 Projekte zur Strategie- und Strukturentwicklung, zur Personal- und Kulturentwicklung sowie Führungstrainings und Coaching in Krankenhäusern und Hospitalgruppen durch. Als Leadership Experte hat er ein psychologisch-fundiertes Führungskonzept für Leitende Ärzte und Ärztinnen entwickelt (vgl. Röhrßen/ Stephan. Leadership Performance Krankenhaus. Berlin 2021). Seit 30 Jahren berät er das Krankenhausmanagement in Fragestellungen der strategischen Unternehmensentwicklung und Unternehmensverbindung, der Analyse und Entwicklung der Führungsstrukturen sowie im klinischen Prozessmanagement (Medizinische Zentrenbildung, OP-Management, Zentrale Notaufnahmen, Intensivtherapie und IMC, Klinikorganisation, stationäre Organisation und Pflegemanagement, Aufnahme-, Entlassungs- und Belegungsmanagement etc.).
Prof. Dr. Thomas Fleischmann ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Klinische Akut- und Notfallmedizin (D) und Klinische Notfallmedizin (CH). Er verfügt weiterhin über die Zusatzqualifikation European Board Certification in Emergency Medicine EBCEM und ist Fellow College of Emergency Medicine FCEM (UK), Fellow European Society for Emergency Medicine FESEM und Master of Health Business Administration MHBA.
Prof. Dr. Fleischmann ist Professor für Physician Assistance/ Schwerpunkt Notfallmedizin an der SRH Hochschule für Gesundheit. Prof. Dr. Fleischmann hat bisher 6 Bücher zur Klinischen Notfallmedizin herausgegeben. Prof. Dr. Fleischmann ist einer der ersten deutschen Notfallmediziner mit langjähriger Erfahrung als Leiter von Notaufnahmen in Deutschland und der Schweiz. Er ist Mit-Autor des europäischen Curriculums für Notfallmedizin und hat mehrere Notaufnahmen ärztlich geleitet und viele Notaufnahmen in Zusammenarbeit mit der roehrssen consult GmbH reorganisiert.
Beispielhafte Veröffentlichungen von Prof. Dr. Thomas Fleischmann:
An die eigene Nase fassen?
Ja unbedingt!!
Seit fast 5 Jahren kennen alle Krankenhäuser die Vorgaben, haben sich selbst, also in Eigenverantwortung, zu einer eigenen Notfallstufe bekannt und was noch wichtiger ist, sie kassieren die dafür vorgesehenen finanziellen Unterstützungen. Das dann diese Gelder gerechtfertigt sein sollten und das dies auch kontrolliert werden sollte, steht außer Frage. Jahre später, wenn dann diese Kontrollen real werden, kommen die Krankenhäuser und diverse beratende Plattformen aus dem Herumgejammere nicht mehr heraus. Aus meiner Sicht sind die Anforderungen in jeder Stufe gerechtfertigt und durchaus erfüllbar, bei entsprechender "geistiger Frische" der Akteure und zielführender Vorbereitung im Krankenhaus. Alle reden von Qualität und deren Optimierung. Allerdings entsteht immer mehr der Eindruck, kaum jemand weiß wirklich was am…